Die Zeitfalte
mitmachen.« Sie spießte einen Bissen auf die Gabel. »Schmeckt nicht schlecht. Probier‘ es doch einmal mit dem, Charles!« Sie reichte ihm die Gabel mit dem aufgespießten Hähnchen über den Tisch.
Charles nahm sie, biß ab, verzog wieder das Gesicht, schluckte aber diesmal hinunter. »Schmeckt immer noch nach Sand«, sagte er und blickte den Mann an. »Wie kommt das?«
»Das weißt du doch selbst. Du hast dich innerlich völlig gegen mich abgekapselt. Die beiden anderen können das nicht. Bei ihnen schleiche ich mich durch die Ritzen ein. Ich komme nicht ganz an sie heran, aber es reicht, um ihnen gebratenes Hähnchen vorzugaukeln. Wie du siehst, bin ich wirklich nichts weiter als ein freundlicher, netter Onkel.«
Darauf sagte Charles Wallace bloß: »Ha!«
Der Mann verzog die schmalen Lippen zu einem Lächeln; es war so widerwärtig, daß Meg darüber erschrak.
»Warum traust du mir nicht, Charles?« fragte die Stimme. »Warum schenkst du mir nicht ein wenig Vertrauen und kommst zu mir, um herauszufinden, wer ich bin? Ich bin der Seelenfriede und die vollkommene Gelassenheit. Ich befreie dich von aller Verantwortung. Nichts sollte dir leichter fallen als die Entscheidung, zu mir hereinzukommen.«
»Komme ich dann jemals wieder heraus?« fragte Charles.
»Aber selbstverständlich – sofern du das willst. Aber ich glaube, das wirst du dann gar nicht mehr wollen.«
»Wenn ich komme – nicht, um zu bleiben, wohlgemerkt, sondern nur, um Ihr Wesen zu erkunden —, werden Sie uns dann sagen, wo Vater ist?«
»Ja. Das kann ich versprechen. Und ich treffe keine leichtfertigen Zusagen.«
»Kann ich mich mit Meg und Calvin beraten, ohne daß Sie uns dabei belauschen?«
»Nein.«
Charles zuckte mit den Schultern. »Hört zu!« sagte er zu den beiden. »Ich muß herausfinden, wer oder was dieses Monster wirklich ist. Das ist uns allen klar. Ich werde versuchen, mich abzuschirmen. Ich werde versuchen, mich wenigstens teilweise herauszuhalten. Diesmal darfst du mich nicht daran hindern, Meg.«
»Aber es wird dir nicht gelingen, Charles! Er ist stärker als du. Das weißt du.«
»Ich muß es trotzdem versuchen.«
»Frau Wasdenn hat dich gewarnt!«
»Ich muß es trotzdem versuchen. Vater zuliebe, Meg! Bitte. Ich möchte … ich möchte endlich meinen Vater kennenlernen.« Seine Lippen begannen verdächtig zu zittern; aber rasch hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Außerdem geht es nicht nur um Vater, Meg. Auch das weißt du mittlerweile. Es geht um das Schwarze Ding. Wir müssen den Auftrag erfüllen, den Frau Dergestalt uns gegeben hat.«
»Calvin!« flehte Meg ihn um Hilfe an.
Aber Calvin schüttelte den Kopf. »Er hat recht, Meg. Und wir bleiben bei ihm, was immer auch geschieht.«
»Was wird denn eigentlich geschehen?« rief Meg verständnislos.
Charles Wallace blickte den Mann an. »In Ordnung!« sagte er. »Ich bin bereit. Ich komme.«
Die roten Augen und das pulsierende Licht über dem Kopf des Mannes schienen sich in Charles hineinzubohren, und wieder verengten sich seine Pupillen. Als das letzte kleine Pünktchen vom Blau der Iris aufgesogen war, wandte sich Charles von den roten Augen ab, blickte Meg an und lächelte ihr gewinnend zu. Aber es war nicht mehr sein eigenes Lächeln.
»Komm, Meg!« sagte er. »Wir wollen essen! Die Speisen, die man uns gebracht hat, schmecken wunderbar.«
Meg ergriff seinen Teller und warf ihn auf den Boden. Der Inhalt spritzte nach allen Seiten, und der Teller zerbrach klirrend.
»Nein!« rief sie, und ihre Stimme wurde immer lauter und schriller.»Nein! Nein! Nein!«
Aus den Schatten löste sich einer der dunkel beschürzten Männer und stellte Charles Wallace einen anderen Teller hin.
Charles machte sich gierig darüber her. »Was hast du denn, Meg?« fragte er mit vollem Mund. »Warum starrst du mich so böse an? Warum bist du so widerspenstig?« Es war seine vertraute Stimme; und doch klang sie zugleich anders als gewohnt; sie war irgendwie flach und platt geworden. So hätte sie wahrscheinlich auch auf dem zweidimensionalen Planeten geklungen.
Meg packte Calvin an den Armen und schüttelte ihn. »Das ist nicht Charles!« schrie sie, außer sich. »Charles ist nicht mehr da!«
Die gläserne Säule
C harles Wallace saß an seinem Platz und stopfte Brathähnchen und Erbsen in sich hinein, als hätte er nie etwas Besseres gegessen. Er war gekleidet wie Charles Wallace, er sah aus wie Charles Wallace; nur seine Augen waren anders als sonst, denn das
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