Die Zeitfalte
griffe etwas Schleimiges, Ekeliges nach ihr.
»Was ist dieses ES?« wollte sie wissen.
»Man könnte sagen: ES ist der Boß!« erwiderte Charles Wallace und kicherte, unheimlich und hinterlistig. »ES bezeichnet sich selbst manchmal als den frohen Sadisten.«
Meg gab sich kühl, um ihre Angst zu übertönen. »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte sie.
»Froher Sadist, wohlgemerkt!« sagte Charles Wallace und kicherte erneut. »Nicht: roher. Es gibt noch immer Leute, die das dummerweise falsch aussprechen.«
»Meinetwegen; das ist mir gleichgültig«, erwiderte Meg unfreundlich. »Ich möchte dieses ES weder froh noch roh, noch überhaupt sehen, und damit Schluß.«
Unbeeindruckt setzte Charles Wallace seine Belehrung fort; monoton leierte ihr seine so fremd gewordene Stimme ins Ohr:
»Meg, so dumm und uneinsichtig kannst du doch nicht sein. Warum, glaubst du, gibt es auf der Erde Krieg? Weil jeder sein eigenes, unabhängiges, persönliches Leben führen will. Ich versuche schon die ganze Zeit, dir auf die einfachste Weise klar zu machen, daß es das auf Camazotz nicht mehr gibt. Camazotz hat ein Herz und eine Seele: und das ist ES. Und das erklärt, warum hier alle so glücklich und nützlich sind. So könnte es auch auf unserer Erde werden; aber böse Hexen wie diese Frau Wasdenn versuchen das mit allen Mitteln zu verhindern.«
»Frau Wasdenn ist keine Hexe!«
»Nein?«
»Nein», sagte Calvin. »Du weißt selbst, daß die drei Damen keine Hexen sind. Daß dieser Aufzug für sie nur ein Spaß ist. Ein Spiel. Vielleicht, weil er ihnen die Möglichkeit gibt, noch im Dunkeln lachen zu können.«
»Im Dunkeln – das allerdings stimmt«, erwiderte Charles. »Sie wollen uns im Dunkeln tappen lassen; sie wollen, daß wir immer mehr durcheinandergeraten, statt uns einer wahren Ordnung zu fügen.«
Meg schüttelte den Kopf. »Nein!« rief sie. »Natürlich ist unsere Welt nicht vollkommen, Charles; das weiß ich doch. Aber sie ist immer noch besser als Camazotz. Das Leben hier bietet keine wirkliche Alternative zu unserem. Das kann ich nicht einsehen.«
»Hier muß niemand leiden«, leierte Charles. »Hier ist niemand je unglücklich.«
»Aber hier ist auch niemand je glücklich!« widersprach Meg, zutiefst überzeugt. »Vielleicht muß man manchmal sogar unglücklich werden: um erfassen zu können, was es bedeutet, glücklich zu sein. – Calvin, ich möchte wieder zurück auf die Erde!«
»Wir dürfen Charles nicht verlassen«, erinnerte Calvin sie. »Und wir dürfen nicht heimkehren, ehe wir euren Vater gefunden haben. Vergiß das nicht. Aber du hast recht, Meg; und auch Frau Dergestalt hatte recht: Dies hier ist das Böse.«
Charles Wallace schüttelte zornig und mißbilligend den Kopf. »Kommt!« sagte er. »Wir verschwenden nur Zeit.« Mit raschen Schritten führte er sie den Korridor entlang weiter und klagte: »Wie schrecklich ist es doch, ein niederer, eigensüchtiger Organismus zu sein! Schlimm, wirklich schlimm.«
Er ging immer rascher; er lief beinahe. Meg und Calvin hatten große Mühe, Schritt zu halten.
Dann hielt er plötzlich an und sagte: »Schaut!« Er hob die Hand, und sofort wurde die Wand durchsichtig und gab den Blick in eine enge Kammer frei.
Dort drinnen ließ ein kleiner Junge einen Ball springen. Er bemühte sich, das in exaktem Rhythmus zu tun, und die Wände der Zelle schienen durch gleichmäßiges Pulsieren diesen Rhythmus vorzugeben. Jedesmal, wenn der Ball aufsprang, stieß der Junge einen leisen Schmerzensschrei aus.
»Das ist der Knirps, dem wir heute nachmittag begegnet sind!« rief Calvin überrascht. »Das Bürschchen, das nicht so Ball spielen wollte, wie die anderen!«
Wieder kicherte Charles Wallace. »Ja«, bestätigte er, »hin und wieder läßt die Mitarbeit eines einzelnen zu wünschen übrig. Aber solche Schwierigkeiten sind rasch bereinigt. Von heute an wird der Junge nie wieder das Bedürfnis haben, vom rechten Pfad abzuweichen.«
Charles Wallace ging einige Schritte weiter, dann sagte er: »Ach, da sind wir ja!«
Erneut hob er die Hand, um die Wand durchsichtig werden zu lassen.
Sie blickten in eine andere Kammer. In der Mitte dieser Zelle ragte eine große, runde, gläserne Säule auf.
In der Säule war ein Mann eingeschlossen.
»Vater!« schrie Meg.
ES
M eg stürzte auf den in der Säule Gefangenen zu; als sie jedoch durch die Öffnung in der Wand dringen wollte, prallte sie dagegen, als sei sie gegen eine gewöhnliche Ziegelmauer
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