Die Zeitfalte
kommt!«
ES. Schon wieder. Einmal mehr.
»Wer ist ES?« fragte Meg.
»Alles zu seiner Zeit«, sagte Charles Wallace. »Ihr seid noch nicht bereit, ES zu erkennen. Zuvor müßt ihr mehr über diesen wunderbaren, begnadeten Planeten Camazotz erfahren.« Seine Stimme nahm den trockenen, pedantischen Ton von Herrn Jenkins an. »Euch ist wahrscheinlich noch nicht bewußt, daß wir auf Camazotz alle Krankheiten und Mißbildungen besiegt haben … « ,
»Wir?« fiel Calvin ihm ins Wort.
Charles sprach weiter, als sei ihm der Einwand entgangen. »Natürlich! Er hört uns nicht mehr zu!« dachte Meg erschrocken.
»…Wir lassen keinen leiden. Ist es denn nicht wahrhaft tröstlich zu wissen, daß jedem, der krank wird, die Entleibung winkt? Niemand muß sich wochenlang mit Schnupfen oder Halsweh abquälen. Nichts dergleichen. Wir entheben ihn aller Mühe und lassen ihn sanft hinüberschlummern.«
»Soll das heißen, schon ein Schnupfen genügt, daß ihr jemanden – einschläfert?« rief Calvin entsetzt. »Aber das ist doch glatter Mord!«
»Mord ist ein sehr primitives Wort dafür«, sagte Charles Wallace. »Wir kennen keinen Mord auf Camazotz. ES nimmt sich bloß seiner körperlichen Probleme an.«
Er hielt plötzlich ruckartig an, drehte sich zur Wand, stand einen Augenblick still und hob dann die Hand.
Die Mauer begann zu flimmern und zu wabern; sie wurde quallig weich. Zuletzt schritt Charles Wallace einfach durch die Wand und winkte Meg und Calvin, ihm zu folgen.
Sie befanden sich in einem kleinen, quadratischen Raum, der in düsterem Schwefelgelb beleuchtet war. Die unheimliche Enge der Kammer bedrückte Meg. Ihr war, als könnten sich die Wände, der Boden und die Decke jederzeit zusammenziehen, um jeden Eindringling auf der Stelle zu zermalmen.
»Wie hast du das gemacht?« wollte Calvin wissen.
»Was?«
»Daß sich die Wand auf diese Weise auf tut.«
»Ich habe natürlich die Atome neu geordnet«, sagte Charles Wallace überheblich. »Du hast doch in der Schule gelernt, was Atome sind … «
»Klar doch. Aber … «
»… dann solltest du eigentlich wissen, daß die Materie nichts Kompaktes ist. Auch du, Calvin, bestehst zum Großteil aus Hohlräumen. Was an dir reine Materie ist, ließe sich bequem auf die Größe eines Stecknadelkopfes komprimieren. Das ist wissenschaftlich erwiesen.«
»Na schön, aber … «
»Also habe ich einfach die Atome beiseitegeschoben, und schon war der Weg für uns frei.«
Meg spürte plötzlich, daß ihr der Magen in den Hals rutschte. Sie erkannte, daß der Raumwürfel, in dem sie sich befanden, ein Fahrstuhl sein mußte, und daß sie sich nun mit rasender Geschwindigkeit nach oben bewegten.
Das gelbe Licht reflektierte auf ihren Gesichtern, und die hellblauen, pupillenlosen Augen von Charles Wallace wurden ganz grün.
Calvin leckte sich nervös die Lippen. »Wohin geht es jetzt?«
»Nach oben.« Charles setzte seinen Vortrag fort. »Auf Camazotz sind wir alle glücklich, weil wir uns in nichts voneinander unterscheiden. Unterschiede schaffen nur Probleme. Aber das weißt du ja, meine geliebte Schwester.«
»Nein«, sagte Meg.
»Oh doch, du weißt es. Du hast es daheim auf der Erde am eigenen Leib erfahren. Du weißt, daß du deshalb in der Schule nicht weiterkommst. Weil du dich von den anderen unterscheidest. Weil du anders bist als die anderen.«
»Ich bin auch anders als die anderen!« warf Calvin ein. »Und ich bin sehr froh darüber.«
»Im Gegenteil. Du hast immer versucht, dich anzupassen. So zu tun, als würdest du dazugehören.«
»Ich bin anders als die anderen, und ich bin gern anders!« beharrte Calvin; seine Stimme war unnatürlich laut geworden.
»Zugegeben«, sagte Meg, »vielleicht bin ich nicht gern ein Außenseiter. Aber deshalb möchte ich doch nicht gleich … gleich sein, wie alle.«
Charles Wallace hob die Hand. Die Kabine hielt an, und wieder schien sich ein Teil der Wand aufzulösen.
Charles stieg aus, und Meg und Calvin folgten ihm. Beinahe wäre Calvin eingeklemmt worden, so rasch schloß sich die Wand hinter ihm erneut zu einer soliden Fläche.
»Das hast du mit Absicht getan, was?« sagte Meg. »Du wolltest, daß Calvin zurückbleibt.«
»Es war nur eine Warnung«, erwiderte Charles. »Nur, um euch zu zeigen, daß jeder Widerstand sinnlos wäre. Macht mir also keine Schwierigkeiten; sonst erwartet ES von mir, daß ich euch ihm vorführe.«
Wieder fühlte Meg sich unangenehm berührt, als Charles das Wort ES aussprach – als
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