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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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behauptet?«
    »Aber wir können auch nichts tun! Sie wissen, daß wir hilflos sind. Wir haben schon alles versucht. Frau Wasdenn, Sie müssen Charles Wallace retten!«
    »Meg, das ist nicht unsere Aufgabe«, sagte Frau Wasdenn bedauernd. »Du solltest eigentlich wissen, daß wir dafür nicht zuständig sind.«
    Jetzt trat Herr Murry einen Schritt vor und verneigte sich. Zu Megs Erstaunen erwiderten die drei Damen die Verbeugung, und Frau Wasdenn sagte: »Ich glaube, wir sind einander noch nicht vorgestellt worden.«
    »Das ist Vater«, sagte Meg. »Sie wissen doch ganz genau, daß das mein Vater ist.«
    Sie konnte ihren Ärger und ihre Ungeduld kaum noch beherrschen. »Vater, das ist Frau Wasdenn – Frau Diedas – und Frau Dergestalt.«
    »Sehr erfreut«, sagte Herr Murry. »Meine Brille ist zerbrochen, ich kann Sie daher leider nicht sehr deutlich sehen … «
    »Es ist nicht so wichtig, daß man uns sehen kann«, erwiderte Frau Wasdenn.
    »… aber wenn sie mir vielleicht das Prinzip der Tesserung etwas näher erläutern würden, könnte ich versuchen, nach Camazotz zurückzukehren und – und -«
    »Unnd wwass?« meldete sich Frau Dergestalts seltsame Stimme.
    »Ich könnte dann versuchen, ES meinen Jungen wieder zu entreißen.«
    »Aberr Ssie wissenn, ddaß Ihnenn ddas nichtt gelingenn wwird?«
    »Es bleibt mir keine andere Wahl, als es zu versuchen.«
    »Ich bedauere«, sagte Frau Wasdenn sanft, aber mit Bestimmtheit. »Wir dürfen Sie nicht gehen lassen.«
    »Dann schicken Sie doch mich hin!« schlug Calvin vor. »Ich habe Charles schon einmal beinahe überreden können.«
    Frau Wasdenn schüttelte den Kopf. »Nein, Calvin. ES hat Charles Wallace seitdem noch tiefer in sich aufgesogen. Wir wollen nicht zulassen, daß ES auch dich noch bekommt – und genau das, mußt du zugeben, würde geschehen.«
    Bedrückendes, lastendes Schweigen. Alle Sonnenstrahlen, die in den Raum fielen, schienen sich auf Frau Wasdenn, Frau Diedas und den Schimmer von Frau Dergestalt zu vereinen. Niemand sprach. Eines der Tiere ließ langsam, ratlos seinen Fühler über die Tischplatte gleiten, hin und her, hin und her …
    Zuletzt hielt Meg es nicht länger aus. Verzweifelt rief sie: »Was werden Sie also tun? Wollen Sie Charles einfach aufgeben?«
    Frau Dergestalts Stimme dröhnte geradezu durch die Halle. »SSei still, Kindd!«
    Aber Meg konnte nicht stillhalten. Sie drückte sich eng an das Tantentier, das ihr jedoch diesmal die tröstliche Umarmung seiner Fühler entzog.
    Meg erschrak.
    »Ich?« rief sie. »Ich soll gehen? Nein, das kann ich nicht! Sie wissen, daß ich das nicht kann!«
    »Hatt ess jemannd vvon dirr vverlangt?« Die scharfe Stimme jagte Meg einen Schauder über den Rücken.
    Meg brach in Tränen aus. Wie ein kleines Kind begann sie in hilfloser Verzweiflung auf das Tantentier einzuschlagen. Dabei kollerten ihr die Tränen über die Wangen und tropften dem Tier auf das Fell. Unbewegt ließ das Tantentier den Angriff über sich ergehen.
    »Also gut«, flüsterte Meg schließlich mit tränenerstickter Stimme. »Ich gehe. Ihr wollt es ja so haben.«
    »Wir zwingen dich zu nichts«, sagte Frau Wasdenn. »Du sollst dich nicht ohne innere Bereitschaft und ohne Einsicht in das Notwendige fügen.«
    Megs Tränen versiegten so plötzlich, wie sie gekommen waren. »Aber ich habe es ja begriffen«, sagte sie.
    Sie fühlte sich auf einmal kraftlos müde und doch zugleich unerwartet friedfertig. Endlich war die Kälte, aus der das Tantentier mit so großer Zuwendung ihren Körper gelöst hatte, auch aus Megs Verstand gewichen. Sie blickte auf ihren Vater, und der sinnlose Zorn war verraucht; jetzt empfand sie für ihn nur noch Liebe und stolze Anerkennung. Sie lächelte ihm zu, bat ihn so um Verzeihung, und schmiegte sich auch eng an das Tantentier, das sie wieder wortlos in die Arme nahm.
    »Ja«, sagte Meg leise. »Ich habe es begriffen.«
    »Wwas hasst ddu begriffenn?« fragte Frau Dergestalt erst.
    »Daß ich es tun muß. Daß es niemand anderer tun kann. Ich verstehe Charles Wallace nicht mehr, aber er versteht mich. Niemand anderer steht ihm so nahe. Als Vater fortging, war Charles noch ein Baby. Die beiden kennen einander nicht. Und Calvin kennt Charles erst seit ganz kurzer Zeit. Wären sie häufiger beisammengewesen, müßte jetzt er gehen, aber so … Ja, ich sehe es ein. Ich begreife, daß wirklich ich gehen muß. Niemand anderer könnte es wagen.«
    Herr Murry hatte zuletzt nur stumm dagesessen, die Ellbogen auf

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