Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
gesetzt bekommt. Nun ja, vielleicht ist es aber auch anders gewesen. Es gibt viele Realitäten.« Er wiegt abwägend die Hand. »Wir haben sie nicht alle beleuchtet, das ist auch uns nicht möglich, aber einige der Realitäten spielen sich nun mal ohne Jeremy ab.«
»Was muss ich tun?«, sage ich kalt. Ich bin nicht mehr bereit tatenlos auf diesem Sessel zu sitzen.
»Du hast die Wahl, Alison. Du wirst jedes Mal die Wahl haben. Das sind die Spielregeln.«
»Jedes Mal?«, frage ich misstrauisch.
»Kommen wir erst zu deiner Entscheidung!« Mit einem Wisch zaubert Wum Randy ein Diagramm auf die Bühne. Es besteht aus vielen verzweigten Linien, die vor meinen Augen verschwimmen, während ich sie betrachte. Daneben jedoch blinken deutlich und übergroß Zahlen. Die zumindest kann ich lesen, auch wenn ich ihre Bedeutung nicht kenne.
Der Moderator zeigt auf sie. »Die Auswertung hat ergeben, dass 99,346 Prozent deiner dir bekannten Realität bestehen geblieben sind. Abweichungen gibt es, aber sie sind winzig. Ein verschwundener Fleck, ein Hund statt eines Bruders … Es hat sich also nicht sehr viel geändert. Wir brauchen eine Entscheidung, Alison: Willst du diese Realität annehmen?«
»Entscheidung! Entscheidung! Entscheidung!«, brüllt das Publikum im Takt und klatscht dazu in die Hände.
Darüber muss ich nicht nachdenken. Es zu akzeptieren wäre, als würde ich tatenlos zusehen, wie Jeremy ermordet wird. »Niemals!«, stoße ich aus und die Zuschauer überschlagen sich vor Begeisterung.
»Fantastisch! So kämpferisch!« Wum Randy strahlt mit seinem verspiegelten Kopf, der mich an eine Discokugel erinnert, um die Wette. »Dann werden wir jetzt sehen, welcher minimale Eingriff die ineinandergreifenden Räder des Schicksals so gelenkt hat, dass Alisons Bruder Jeremy nie in ihr Leben treten wird. Bühne frei!«
Wum tritt zur Seite, das Hologramm erscheint.
Wieder zeigen sie Momente meines Lebens: meine Eltern im Restaurant, bei Kerzenschein, ein Glas Rotwein vor sich, Klavierklänge …
»Du bist kein bisschen verwelkt, meine Blume«, säuselt mein Vater beschwipst und beugt sich vor, um meine Mutter zu küssen.
Die Szene kenne ich bereits. Was soll das?
Plötzlich klingelt mein Handy. Instinktiv will ich danach greifen, aber da zieht meine Mutter es bereits aus ihrer Handtasche. Richtig, sie hat es mir einige Jahre später geschenkt, fällt mir ein.
Mum sieht Dad mit sorgenvollem Blick an.
»Du meine Güte! Es ist deine Schwester, Rose. Ob es Alison gut geht?« Sie hebt ab, ohne auf Dads Antwort zu warten. »Oh, Herold, du bist es. Ich dachte, es wäre Rose. Alles in Ordnung bei euch?« Einige Sekunden fährt Mum mit dem Finger über das Weinglas, das sich leise wimmernd beklagt, dann bricht sie ab. »In Ordnung, wir kommen. Bleib bei ihr, bis wir da sind. Geht das?«
Dad sieht Mum mit hochgezogenen Brauen an.
»Rose ist von unserem Apfelbaum gefallen. Sie wollte uns mit ihrem California Apple Pie überraschen und hat sich wohl die Hüfte gebrochen«, berichtet sie hastig und greift nach ihrer Tasche. »Man hat sie ins Krankenhaus nach San Francisco gebracht. Herold ist im Moment bei Alison, aber er steht in den Startlöchern.« Mum schiebt den Stuhl ran, bereit zu gehen, doch dann hält sie kurz inne: »Schau nicht so drein, Robert. Es ist nicht unser letzter Hochzeitstag und man weiß nie, wozu manche Dinge gut sind.«
Das Bild erlischt, Wum Randy füllt im Scheinwerferlicht funkelnd den freien Platz.
»Ein Kalifornischer Apfelkuchen ist also das kleine Rädchen, das alles verändert hat, Alison. Wäre Tante Rose nicht auf die Idee gekommen, ihn zu backen, wäre sie nicht vom Baum gestürzt. Deine Eltern hätten die Nacht in einem lauschigen Strandhaus verbracht und Jeremy – na ja, ich denke, das Prinzip ist dir klar.«
Ich schlucke trocken und nicke. Ein Signalton, laut und für alle hörbar, erspart mir einen weiteren Kommentar. Ich ahne nichts Gutes.
»Das ist der Ton, auf den wir gewartet haben!«
Kaum, dass Wum die Worte ausgesprochen hat, schießt ein mannshohes Thermometer aus der Bühne, genau durch ihn hindurch.
Wum Randy tritt ungerührt zur Seite. »Sie haben mit Ihrem Cull entschieden, wie schwer es unser Küken Alison bei ihrer ersten Challenge haben wird, und hier ist das Ergebnis!«
Eine grüne Spirale schraubt sich nervenaufreibend langsam in die Höhe und bald geht die Farbe in ein helles Gelb über.
Nicht Rot!, denke ich. Lass es stehen bleiben. Stopp!
Mein Flehen wird
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