Die Zeitung - Ein Nachruf
wundern, dass insbesondere in Österreich ab 1793 die Zensur verschärft und die Polizeistelle zur Pressekontrolle wiederbelebt wurde. Sogar Lesekabinette wurden verboten. Preußen zog mit und verabschiedete Gesetze gegen „Aufruhr entfachende Schriften“.
Napoleon als Vorbild
Im Mutterland der Revolution selbst lockerte sich die Situation mit der Hinrichtung Robespierres etwas, sodass sogar die politische Rechte wieder ein gewisses Maß an öffentlicher Präsenz erringen konnte, aber nach dem Staatsstreich Napoleon Bonapartes im November 1799 kehrte die Zensur, zunächst schrittweise, zurück. Das „Bureau de la presse“ des Polizeiministers überwachte die Zeitungen, die ohnehin nicht hätten gedruckt werden können, wenn sie nicht über eine Lizenz verfügten. Ab 1799 wurden vom Regierungsorgan
Le Moniteur
die Texte auch für die verbliebenen zugelassenen Blätter vorgegeben, was im Zuge der napoleonischen Eroberungen dazu führte, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein zentralisiertes europäisches Mediensystem mit einem einzigen Referenzpunkt, nämlich
Le Moniteur
, gab: Napoleon ließ in den Rheinbund-Staaten den Großteil der Zeitungen einstellen, der Rest musste zweisprachig erscheinen und wurden vom französischen Regierungsorgan versorgt.
Napoleon Bonaparte wurde mit seinen
Bulletins de la Grande Armée
zum eifrig nachgeahmten Pionier der medialen Propaganda.
In der Zeit der napoleonischen Kriege etablierten sich in den Zeitungen propagandistische Techniken und, eng damit verbunden, nationalistische Tendenzen. Der preußische Reformer und spätere Staatskanzler Karl August Freiherr von Hardenberg forderte bereits 1807, man müsse „die öffentliche Meinung mehr ehren und bearbeiten, durch zweckmäßige Publizität, Nachrichten, Lob und Tadel usw.“, um „eine Aufregung von patriotischem Enthusiasmus“ zu erreichen. 24 Der österreichische Fürst Metternich sah das ähnlich; beide hatten die Technik von Napoleon gelernt: Es ging um eine autoritäre Strategie, die Öffentlichkeit als Instanz aufzuwerten, um die Durchsetzung des eigenen Handelns aufzuwerten. In der politischen Wissenschaft heißt das Phänomen immer noch „Bonapartismus“: Noch 200 Jahre nach Napoleon werden Versuche, im kontinentaleuropäischen Raum ein Mehr an „direkter Demokratie“ zu etablieren, von Kritikern mit dem Hinweis auf Napoleons autoritär-plebiszitäre Taktiken abgelehnt.
Zunächst ahmten die Preußen und Österreicher zur Mobilisierung und Motivation von Volk und Armee Napoleons
Bulletins de la Grande Armée
nach, in denen Proklamationen, Statistiken und Kriegslieder abgedruckt wurden. Die Idee, dass Zeitungen einen entscheidenden Beitrag zur Nationsbildung leisten können, war naheliegend: Das Wissen darum, dass Millionen Menschen zur gleichen Zeit die gleichen Inhalte konsumierten, erzeugte ein Gefühl der Gemeinschaft, außerdem förderte es die gemeinsame Sprache, man betrachtete die selben Landkarten, die einem zeigten, welcher Nation man angehörte. Die Zeitungen trugen damit zur nationalen Kanonbildung bei, die während der napoleonischen Kriege in erster Linie durch negative Völkerstereotypen und Abgrenzung funktionierte.
Aktionistische Performances wie das Verbrennen von französischen Medien unterstützten das medial-nationalistische Projekt, nationalistische Schriftsteller wie Ernst Moritz Arndt oder August Kotzebue publizierten in Massenblättern, gleichzeitig fanden Schleichermachers
Predigten
oder Fichtes
Reden an die deutsche Nation
ihre gedruckte Verbreitung. In Deutschland hatten zwischen 1780 und 1825 Zeitungen Titel wie
Teutscher Mercur
,
Deutsche Chronik
,
Pomona für Teutschlands Töchter
oder
Journal von und für Deutschland
. Um für den Krieg gegen Frankreich zu mobilisieren, ließ man 1813/14 neue nationalistische Medien zu. Nicht nur die preußische Regierung, auch die russische Armee hatte in den befreiten Gebieten die Zensur außer Kraft gesetzt und damit einen Zeitungsboom ausgelöst. Der Aufruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.,
An mein Volk
, in der
Schlesischen Privilegierten Zeitung
wurde vielfach nachgedruckt.
Auch in Lateinamerika lässt sich ein Zusammenhang zwischen nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen und Zeitungsgründungen erkennen. Die Anfang des 19. Jahrhunderts in Mexiko entstandenen Zeitungen engagierten sich im dortigen Unabhängigkeitskampf, der 1822 mit der Abdankung des spanischen Vizekönigs endete. In Kolumbien und Bolivien gab es
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