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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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gescheitert. In der Paulskirchen-Verfassung von 1849 hatte es zwar in Artikel IV noch geheißen, dass „Jeder Deutsche […] das Recht“ habe, „durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern“, aber die damit verbundene Medienexpansion wurde – wie schon nach den Revolutionen von 1789 und 1830 – durch eine Phase der Restauration abgelöst, viele Zeitungen verschwanden wieder, Journalisten wurden erneut verhaftet und/oder zur Emigration gezwungen. Dennoch, und
Die Presse
unter August Zang ist dafür eines der wichtigsten Beispiele auf dem europäischen Kontinent, gab es keine Rückkehr zu den alten Verhältnissen. Nicht nur
Die Presse
überlebte – wenn auch ab 1864, nachdem sich die Chefredakteure Michael Etienne und Max Friedländer vom allzu gierig gewordenen Gründer getrennt hatten, mit der
Neuen Freien Presse
eine übermächtige Konkurrenz entstand –, auch viele andere Publikationen schafften es, in den geänderten Verhältnissen, die stärker waren als die restaurativen Ambitionen der Herrschenden, zu überleben.
Der Beginn des „Goldenen Zeitalters“
    Wodurch zeichnen sich diese neuen Verhältnisse aus, was waren die Hauptgründe dafür, dass mit der Mitte des 19. Jahrhunderts jene Dynamik einsetzte, die zur Etablierung von „Massenpresse“ und „Massenmedien“ führte? Werner Faulstich 26 identifiziert vier „Schlüsselphänomene“:
    Erstens einen erneuten Bevölkerungsboom von 29,3 (1830) auf 56 Millionen Menschen (1900), ab 1860 besonders in den Städten. Die anfängliche Massenverarmung wurde durch Wachstum, Steigerung der Erträge, Verlängerung der Lebenserwartung und Verbesserung des Lebensstandards abgelöst.
    Zweitens kam es zu einem Technikboom, das 19. Jahrhundert gilt als das „Jahrhundert der Erfindungen“: von der Dampflokomotive bis zum Elektromotor, vom Fahrrad über den Kühlschrank bis zur Glühlampe, vom Stahl über die Schreibmaschine bis zum Auto. Auch im Zeitungsgeschäft gab es die erste große Innovation seit Gutenberg: die dampfbetriebene Schnellpresse samt Druckzylinder.
    Drittens war dieser Technikboom eines der wesentlichen Merkmale der industriellen Revolution, des Wandels von der einfachen zur kapitalistischen Warenproduktion, vom Handelskapital zum Industriekapital, vom Handwerker zum Lohnarbeiter. Zunächst kam es zur Mechanisierung, dann zu einem Gründerboom, in einem dritten Abschnitt folgte die Bildung von Konzernen, Großbanken und Aktiengesellschaften.
    Das führte viertens zu einer Veränderung der sozialen Struktur: Das alte Modell bürgerlicher Öffentlichkeit zerbrach und wurde zur Jahrhundertwende von der Massengesellschaft und einem neuen Modell sozialer Schichten mit einer breiten Mittelschicht abgelöst.
    Gesellschaftlicher Wandel, technologische Innovation und die Veränderungen innerhalb der Medienindustrie haben sich immer aufeinander bezogen, aber es war nie eine lineare, vorhersehbare Beziehung. Technologische Neuerungen waren zwar immer ein wesentlicher Treiber der medialen Entwicklung, aber man kann von Beginn an erstaunliche Verzögerungen beobachten. Zwischen Gutenbergs epochaler Erfindung und der ersten regelmäßig erscheinenden, gedruckten Wochenzeitung lagen 150 Jahre. Der Grund dafür war, dass erst die ökonomische und demografische Entwicklung des 16. Jahrhunderts einen Bedarf erzeugte, der groß genug war, um den Einsatz der mit hohen Investitionen verbundenen Drucktechnologie wirtschaftlich sinnvoll erscheinen zu lassen.

    Der erste große technische Sprung nach Gutenbergs Erfindung: Dampfpresse von Koenig und Bauer, erstmals im Einsatz 1814 bei der
Times
.
    Ähnliches gilt für die Erfindung der Dampfpresse, die 1814 bei der Londoner
Times
erstmals zum Einsatz gekommen war: Die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Kontinentaleuropa, die während der ersten Jahrhunderthälfte ein ständiges Auf und Ab für die Entfaltungsmöglichkeiten der Zeitung bedeutete, hielt den technologisch bereits vorgezeichneten Schub in Richtung „Massenpresse“ noch zurück. In den angelsächsischen Ländern wurden die neuen Möglichkeiten hingegen früher genutzt. Benjamin Day gründete im Herbst 1833 mit der
Sun
das erste „penny paper“ in den Vereinigten Staaten: Polizeiberichte und „human-interest-stories“ dominierten das Blatt, das es innerhalb von zwei Jahren auf eine Auflage von täglich 15.000 Stück brachte. Ähnlich erfolgreich war James Gordon Bennett, einer der großen Innovatoren

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