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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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ebenfalls zahlreiche Zeitungen, die sich im Unabhängigkeitskrieg auf die Seite von Simon Bolivar stellten, der 1824 zum Diktator von Alto-Peru (Hoch-Peru) ernannt worden war. 1825 wurde die Republik gegründet und nach dem „Libertador“ Bolivien genannt. In Brasilien stellte sich die Situation eher umgekehrt dar: Erst nach der Unabhängigkeit von 1822 kam es zu einem Anstieg der Zeitungsgründungen, und wie in vielen anderen postrevolutionären Gesellschaften übernahmen sie eine wesentliche Funktion in der Ausbildung der unterschiedlichen Parteien.
    Nach Napoleons endgültiger Niederlage folgte in Westeuropa Schritt für Schritt eine Phase der Restauration. Die Bundesakte als Teil der Wiener Kongressakte hatte vorgesehen, dass es in Bezug auf die Pressefreiheit zu einem einheitlichen Vorgehen kommen sollte, aber manche Bundesstaaten gewährten relativ liberale Bedingungen, manche begnügten sich mit der Nachzensur. Aber die Revolutionsangst nahm zu, die Repression wurde stärker. Die Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue durch den Theologiestudenten und Burschenschafter Karl Ludwig Sand galt als Fanal. 1819 wurden unter der Ägide Metternichs die Karlsbader Beschlüsse gefasst, die im Deutschen Bund zu einheitlichen und drastischen Einschränkungen führten. Es herrschte Vor- und Nachzensur, das Spitzelwesen blühte und wurde zum Charakteristikum dieser Restaurationsphase und des auf die Julirevolution von 1830 folgenden „Vormärz“.
Durch den Vormärz
    Auch wenn Möglichkeiten gesucht und gefunden wurden, der Zensur durch Verlegung des Druckortes in relativ liberale Bundesstaaten zu entgehen und man dazu überging, die Verbreitung politischer Ideale in Berichten über Ereignisse im Ausland, besonders in England und den Vereinigten Staaten, zu verstecken, kam es zu einer publizistischen und ökonomischen Verödung des Zeitungswesens innerhalb des Bundesgebietes. Stattdessen florierte die Publikation von Dekreten und Hofnachrichten.
    Der Protest gegen die zunehmende Repression entlud sich in Frankreich im Sommer 1830, als König Charles X. durch seine „Juli-Ordonanzenz“ die Pressefreiheit und den Wahlzensus weiter einschränkte. 44 Redakteure von zwölf Zeitungen plakatierten am 27. Juli eine Protestnote, die die Straße gegen die Regierung mobilisierte. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die im selben Jahr gegründete Zeitung
Le National
. Ihr Herausgeber, Adolphe Thiers, gehörte zu den Schlüsselfiguren des Aufstandes, der mit der Vertreibung der Königsfamilie und der Einsetzung des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe endete. Thiers brachte es in den 30er Jahren zu Ministerehren, 1871 wurde er der erste Staatspräsident der Dritten Republik. Auch im Vereinigten Königreich der Niederlande, wo sich unter dem Einfluss der Pariser Julirevolution die Flamen und Wallonen im katholischen Süden gegen den protestantisch dominierten Norden erhoben, waren ein Journalist und seine Zeitung Träger der Reformforderungen: Der antiklerikale Redakteur Louis de Potter vom
Courier des Pays-Bas
schmiedete ein Bündnis zwischen Liberalen und Katholiken. Das Haus des Herausgebers des königstreuen Blattes
Le National
war Ziel der ersten gewaltsamen Proteste, der ersten Regierung des in der Revolution entstandenen Staates Belgien gehörten zahlreiche Journalisten an.
    Im Gebiet des Deutschen Bundes kam es 1830 nicht zur Revolution, aber die Pariser Revolution führte zu einer Wiederbelebung der Nationalbewegung und zu stürmischen Versammlungen in einzelnen Staaten. Diese Repolitisierung gipfelte im „Hambacher Fest“, dessen Schlüsselfiguren die Journalisten Philipp Siebenpfeiffer und Georg August Wirth waren. Siebenpfeiffer, der sein Blatt
Rheinbayern
programmatisch in
Deutschland
umbenannt hatte, und Wirth, dessen
Deutsche Tribüne
trotz laufender Zensur und zahlreicher Prozesse weiter erschien, gründeten 1832 den „Deutschen Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse“ und organisierten ein als Volksfest angemeldetes Treffen in Hambach. Das „Hambacher Fest“, bei dem 30.000 Teilnehmer für Pressefreiheit und einen deutschen Nationalstaat sowie gegen Polizeiwillkür eintraten, war auf den ersten Blick kein Erfolg: Die Repression siegte, viele Journalisten wurden verhaftet und/oder mussten ins Exil – die Zensur wurde sogar weiter verschärft. Aber das „Hambacher Fest“ politisierte junge Schriftsteller wie Heinrich Heine oder Georg Büchner, die wir

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