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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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durchgängige Absolutismus unterband jedes Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit.
    Lokale Lesegesellschaften und Leihbibliotheken spielten eine besondere Rolle in der gemeinsamen Mediennutzung. Auch diese Einrichtungen entstanden zuerst in England – und in Amerika, wo Benjamin Franklin eine der ersten Leihbibliotheken in Philadelphia gründete –, fanden dann aber in Deutschland besonders große Verbreitung. Es handelte sich im Wesentlichen um Zusammenschlüsse von Bürgern zu dem Zweck, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher aus Kostengründen und aus Gründen der so entstehenden größeren Auswahl für den Einzelnen gemeinsam anzuschaffen und dann in eigens gemieteten Gasträumen oder Wohnungen gemeinsam zu lesen. Es ging wohl unter anderem um den kritischen Abgleich unterschiedlicher Inhalte, wenn man bedenkt, dass in manchen dieser Lesegesellschaften bis zu zwei Dutzend verschiedene Produkte historisch-politischen, geografischen und anderen populärwissenschaftlichen Inhalts bestellt wurden, auch aus den Nachbarländern England, Frankreich und Italien.
    Auf diesem Feld zeigt sich ebenfalls das bereits mehrmals erwähnte West-Ost-Gefälle: Im Westen des Reiches expandierten die Lesekabinette, während es in Böhmen bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts dauerte und in Russland überhaupt bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, weil solche Einrichtungen während der bis 1855 dauernden Regierungszeit von Zar Nikolaus I. nicht denkbar gewesen wären.

Von 1780 bis heute – die
Neue Zürcher Zeitung
    Der Weg, der in Europa im 18. Jahrhundert von den Anfängen bürgerlicher Selbstvergewisserung über die Aufklärung zur Französischen Revolution führte, verlief nicht in allen Gebieten des Kontinents gleichmäßig – England hatte die „glorious revolution“ bereits hinter sich, in Amerika fand sie 1776 statt, allerdings in einem deutlich anderen, nicht absolutistischen Umfeld. Und gegen Ende des Jahrhunderts entstand die erste Zeitung, die noch nach 230 Jahren das ist, was sie als „Schöpfung der Zürcher Aufklärung“ bereits 1780 war: ein Teil des „Kulturguts der Willensnation Schweiz“. So jedenfalls beschreibt Hugo Bütler, deren langjähriger Chefredakteur, das Wesen der 1780 gegründeten
Neuen Zürcher Zeitung
(so hieß sie ab 1821, bis dahin bloß
Zürcher Zeitung
).
    In seinem Buch über die Geschichte der
NZZ
von 1780 bis 2005, aus dem auch das Bütler-Zitat stammt, beschreibt Thomas Maissen, inzwischen Geschichtsprofessor, zuvor langjähriger
NZZ
-Mitarbeiter, diesen Weg durch das 18. Jahrhundert aus Schweizer Sicht. 21 Die Ingredienzien früher Medienentwicklung – kapitalistische Blüte, konfessionelle Spannungen und bürgerliches Erwachen – waren im nur 10.000 Einwohner zählenden Zürich in besonderer Weise konzentriert.
    Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren an die Stelle des „uomo universale“ die gelehrten Sozietäten als Vehikel der kollektiven Selbstaufklärung getreten, in weiterer Folge kam es durch den Druck und Austausch von Zeitschriften zu nationalen und internationalen Vernetzungen und zur Bildung von Dachgesellschaften wie der „Helvetischen Gesellschaft“ (1761), der auch Salomon Gessner, der Gründungsherausgeber der
NZZ
, angehörte. In einer Zunftstadt, die zumindest innerhalb der bürgerlichen Eliten über vergleichsweise demokratische Strukturen verfügte, dienten die Bildungs- und Lesegesellschaften nicht zuletzt dazu, den Nachwuchs aus den regimentsfähigen Familien auf spätere Verwaltungsämter vorzubereiten. Diese Aufgabe hatten anderswo die adelig-höfische Erziehung oder die juridischen Fakultäten übernommen. Von den mehr als 100 Zeitschriften, die auch in der Schweiz im 18. Jahrhundert das Rückgrat der sich aus den vertrauten und geschlossenen Zirkeln herausbildenden bürgerlichen Öffentlichkeit waren, erschienen mehr als die Hälfte in Zürich.
    Der Schaffhausener Historiker Johannes Müller war 1777 einer der Ersten gewesen, der eine Definition von „öffentlicher Meinung“ angeboten hatte. Und zwar als „Volksstimme“, die „vermittelst einer unerhörten Lektur“ von den Philosophen auf Politiker, Soldaten, Frauen, „in die geringste Werkstätte und in die einsamen Alpen“ entstanden sei und „deren steigender Laut und Nachdruck der Schrecken der Despoten, das Gesetz bürgerlicher Vorsteher, ein wirksamer Trost für Unrechtleidende, und bey fallender politischer Freyheit für ganz Europa die letzte große Hoffnung

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