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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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des amerikanischen Journalismus, mit seinem
New York Herald
. Er gründete seine Zeitung 1835 und brachte es innerhalb von zwei Jahren auf eine Auflage von 20.000 Stück. Bis dahin war der
New York Courier and Enquirer
mit 4.500 Stück die meistverkaufte Zeitung der Vereinigten Staaten gewesen, und die damals angesehenste Zeitung der Welt, die Londoner
Times
, brachte es auf 10.000 Stück. Ab 1835 druckte Benjamin Day sein rasch wachsendes Blatt mit einer Dampfpresse, Mitte des Jahrhunderts konnte er damit 18.000 Stück pro Stunde drucken – mit den alten Gutenberg-Maschinen hatte man nicht mehr als 125 Stück pro Stunde herstellen können.
    Auch in England hatten sich bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts billige Zeitungen etabliert – hier fasste man sie unter dem Begriff „pauper press“ zusammen –, aber sie bewegten sich außerhalb der Legalität, weil sie die erst 1855 endgültig abgeschaffte „Stempelsteuer“ umgingen. 27 Bis zu 560 solcher illegaler Billigblätter wurden gezählt, der
Twopenny Dispatch
soll es 1836 zu einer Auflage von 27.000 Stück gebracht haben. Er wurde von Henry Hetherington herausgegeben, zu dessen Unternehmen auch
The Poor Man’s Guardian
gehörte. Dort konnte man 1834 lesen: „Politics is the noble art of dividing society in two classes – Slaves and Robbers“. Die „pauper press“ stand außerhalb des Gesetzes, sie vertrat ziemlich radikale politische Ansichten.
    Einer der wesentlichen Effekte der Billigpresse war der Wandel im ökonomischen Status ihrer Herausgeber. Man konnte jetzt als Zeitungsmann reich werden, eine Aussicht, die für einige der Pioniere – wie den
Presse
-Gründer August Zang – ein wesentlicher Antrieb gewesen sein dürfte. Damit veränderten sich allerdings auch die politischen Perspektiven dieser Zeitungsleute: Zeitungen, die als zornige Angreifer auf das politische Establishment begonnen hatten, wurden große Unternehmen, und die Inhaber großer Unternehmen neigen zu konservativeren politischen Ansichten. Oder, in den Worten von Werner Faulstich: „Medien als Orientierungs- und Steuerungssysteme wurden zunehmend kapitalisiert, d. h. Kultur wurde immer stärker dem ökonomischen Teilsystem untergeordnet. Außerdem muss gelten: Ab dem Ende dieser Periode tendiert Medienkultur immer stärker zur Unterhaltung. Beides sollte in den folgenden Perioden der Medienkulturgeschichte bis heute beibehalten werden.“
Beschleunigungsprozesse
    Das ausgehende 19. Jahrhundert, das Fin de Siècle, das als Beginn der „klassischen Moderne“ gilt, war eine Epoche der Beschleunigung, die zwischen euphorischem Aufbruch und Zukunftsangst changierte und um die Jahrhundertwende ganz ähnliche Phänomene hervorbrachte, wie sie 100 Jahre später im Zuge der digitalen Beschleunigungsprozesse rund um die Jahrtausendwende zu beobachten waren: Was später als „Burn-out“ endemisch wurde, hieß seinerzeit „Neurasthenie“. 28 Die Medien spielten in diesem Prozess eine entscheidende aktive und passive Rolle. Zur Beschreibung dieses wechselseitigen Transformationsprozesses des Medialen und des Sozialen etablierten Habbo Knoch und Daniel Morat 29 in Anlehnung an den Nestor der deutschen Sprach- und Begriffsgeschichte, Reinhart Koselleck, den Begriff der „massenmedialen Sattelzeit“ für den Zeitraum von 1880 bis 1960.
    Der wirksamste Beschleuniger für die Zeitungsindustrie selbst war der von Samuel Morse 1837 erfundene und 1844 verbesserte Schreibtelegraf. Damit konnten die Zeitungen Geschwindigkeit, Breite und Verlässlichkeit ihres Nachrichtenaufkommens dramatisch verbessern; die Zeitungen wurden die Hauptkunden der bald entstehenden Telegrafengesellschaften. Zunächst vor allem in den Vereinigten Staaten, in Kontinentaleuropa blieb die Nutzung der neuen Technologie vorerst den offiziellen Stellen vorbehalten. Um die Kosten überschaubar zu halten, gründeten die New Yorker Zeitungen 1848 die
Harbour News-Agentur
, die später in die noch heute operierende Genossenschaft
Associated Press
umgewandelt wurde. 30 Die Telegrafentechnologie ermöglichte es Zeitungen erstmals, Nachrichten von Ereignissen, die Tausende Kilometer entfernt stattgefunden hatten, am nächsten Tag ihrem Publikum zu präsentieren, mit der Fertigstellung der Transatlantikleitung 1866 galt das auch für Nachrichten vom alten Kontinent.

    Im 19. Jahrhundert kamen die Bilder an die Macht: tote Soldaten des Amerikanischen Bürgerkriegs bei Antietam (1862).
    Einen wesentlichen Schub erhielten

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