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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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nicht über Anzeigen finanzieren können: Man könnte immerhin sagen, dass Medien, die dem Anspruchsdenken dutzender, ja hunderter Anzeigenkunden ausgesetzt sind, immer noch freier agieren können als solche, die einen Eigentümer mit einer klaren politischen Agenda haben.
    Besonders geschickte Akteure wie der
Presse
-Gründer August Zang drehten den Spieß sogar um: „Es muss noch dahin kommen, dass die Königin von England ihre Thronrede als Inserat in
Die Presse
gibt“, soll er gesagt haben, und Eduard Hanslick, der legendäre Musikkritiker des Blattes, berichtet in seiner Biografie, dass Zang von ihm verlangt habe, alle Künstler darauf hinzuweisen, dass jene, die in der
Presse
besprochen werden wollten, dafür sorgen müssten, dass ihre Auftritte zuvor in dem Blatt auch per bezahlter Anzeige angekündigt würden. Zang habe von dem Ansinnen erst nach Hanslicks in der selben Minute eingereichter Kündigung abgelassen. 32 Beim Börsenkrach 1873 allerdings spielte die
Neue Freie Presse
eine unrühmliche Rolle: Sie hielt im Interesse der Finanzmagnaten die Euphorie aufrecht, als längst schon klar war, dass es zum Zusammenbruch kommen würde.
    Das berühmteste Beispiel des korrupten Zeitungsmannes und erpresserischen Anzeigenkeilers war der vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Ungar Imre Békessy, der 1919 nach Wien gekommen war und ab 1923 Herausgeber der
Stunde
war. Unter seinen Mitarbeitern war nicht nur Anton Kuh, sondern auch der blutjunge Billy Wilder, der mit dafür verantwortlich war, dass gegen den Leiter der Anzeigenakquisition der
Stunde
ein Verfahren eingeleitet wurde. Békessy, hieß es, habe sogar einfache Kaffeehausbesitzer erpresst, der Begriff „Revolverjournalismus“ hat hier seinen Ursprung: Der Revolver war die Drohung, bei Nichteingehen auf Békessys Forderungen journalistisch gegen den Erpressten vorzugehen. Karl Kraus, der in der
Fackel
gegen Békessy polemisierte und ihm 1928 in dem Stück
Die Unüberwindlichen
in der Figur des Barkassy ein literarisches Denkmal setzte, beendete viele seiner Vorlesungen mit dem später zum geflügelten Wort gewordenen Satz: „Hinaus aus Wien mit dem Schuft.“
Medienmoguln
    Neben dem Bild des erpresserischen Revolverjournalisten taucht um die Jahrhundertwende auch das Bild des „Medienmoguls“ auf, dessen ikonografische Gestalt für die Heutigen von Orson Welles durch seinen 1941 entstandenen Film
Citizen Kane
entscheidend geprägt wurde. Das reale Vorbild für die Filmfigur des Charles Foster Kane ist William Randolph Hearst. Hearst war wie die Filmfigur Kane der Sohn eines Goldminenbesitzers, studierte in Harvard, wo er Teil der Redaktion des
Harvard Lampoon
wurde, jener legendären Zeitschrift, die zu der Zeit von seinem großen Vorbild und späteren Konkurrenten Joseph Pulitzer geleitet wurde. 1887 übernahm er den
San Franzisco Examiner
, Mitte der 90er Jahre wagte er mit dem Geld, das sein 1891 verstorbener Vater ihm hinterlassen hatte, den Sprung nach New York, wo er das
Morning Journal
kaufte.

    Joseph Pulitzer (1847–1911), spät geläuterter Pionier des Sensations-journalismus und Namenspatron des wichtigsten Journalistenpreises der Welt.
    Pulitzer war bereits 1883 in New York angekommen, wo er die
New York World
übernommen und Kreuzzüge für Arbeiter, Immigranten und Arme begonnen hatte. Pulitzer war ziemlich innovativ, er hatte sowohl Spezialsektionen für Frauen als auch eine regelmäßige Sportberichterstattung und die ersten farbigen Cartoons eingeführt. Zugleich begann mit Pulitzers Ära und erst recht ab seiner Auseinandersetzung mit Hearst um Auflage und Reichweite die zweite große Phase des „Sensationalismus“. Die beiden Zeitungsmoguln warben einander die besten Journalisten ab und starteten einen atemberaubenden Wettbewerb um die blutigere, bizarrere und schlüpfrigere Geschichte. Dem erbitterten Kampf der beiden um einen Cartoon-Charakter namens „yellow kid“ verdankt sich der Begriff „yellow press“.
    In jener Boomzeit etablierten sich noch heute zu beobachtende Phänomene wie der „stunt journalism“: Man schuf die Ereignisse, über die man sensationelle Berichte verfassen konnte, einfach selbst. Pulitzer beispielsweise schickte seine Reporterin Jane Cochrane, die unter dem Pseudonym Nellie Bly 33 arbeitete, 1889 um die Welt, um zu sehen, ob sie es in weniger als 80 Tagen schaffen würde (Jules Vernes Roman war 1873 erschienen). Sie schaffte es übrigens in etwas mehr als 72 Tagen. Die berühmteste

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