Die Zeitung - Ein Nachruf
„Stunt“-Geschichte hatte freilich der Dritte im Bunde der New Yorker Zeitungszaren, James Gordon Bennet jr., bereits 1869 geliefert: Er sandte Henry Morton Stanley nach Afrika, um den 1866 aufgebrochenen, jetzt aber als verschollen geltenden Missionar und Forscher David Livingstone zu finden. Stanley war erfolgreich. „Doctor Livingstone, I presume?“ Stanleys Satz beim ersten Zusammentreffen mit einem Europäer in der Nähe des Tanganjikasees ist zwar weltberühmt, aber nicht belegt. Von den weißen Reisebegleitern Stanleys hat keiner überlebt, Livingstone hat sich über diese Begegnung nicht geäußert, er starb ein Jahr später.
William Randolph Hearst (1863–1951), Pulitzers Gegenspieler mit großer politischer Ambition, wurde in Orson Welles’ Film
Citizen Kane
ein Denkmal gesetzt.
Kurz vor seinem Tod 1904 holte Stanley seine böseste Tat ein: Die unfassbaren Verbrechen, die der belgische König Leopold im Kongo zu verantworten hatte, wurden öffentlich. Und es war Stanley gewesen, der Leopold vertraglich den Kongo samt der Arbeitskraft seiner Einwohner gesichert hatte, Stanley hatte die entscheidende Infrastruktur inklusive der Gründung von Leopoldville (später Kinshasa) aufgesetzt und so den Völkermord vorbereitet, den der Monarch verüben ließ, um den weltweit dramatisch angestiegenen Bedarf nach Kautschuk zu decken und damit ein Vermögen zu machen. 34
Die weit verbreitete Ansicht, dass der Krieg der Vater aller Mediendinge sei, bestätigte sich auch im Wettbewerb zwischen Hearst und Pulitzer. Die Blätter der beiden waren mit ihrer reißerischen Berichterstattung wesentlich verantwortlich für den Amerikanisch-Spanischen Krieg um Kuba 1898. Legendär wurde der Telegramm-Wechsel zwischen Hearst und seinem Kuba-Korrespondenten Frederic S. Remington: W. R. Hearst,
New York Journal
, N. Y.: „Everything is quiet. There is no trouble here. There will be no war. I wish to return.“ Remington. – Remington, Havana: „Please remain. You furnish the pictures, and I’ll furnish the war.“ W. R. Hearst.
Der Schlachtruf, mit dem Hearst in den medialen Krieg für den Krieg gegen Spanien zog, lautete: „Remember the Maine, to Hell with Spain!“ Während Hearst nach der erfolgreichen Agitation seine politischen Ambitionen auslebte – ohne allerdings sein Ziel, als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden, zu erreichen –, setzte bei Pulitzer ein Läuterungsprozess ein. Die
New York World
wurde eine respektierte Zeitung, aber Pulitzer, der 1911 starb, sollte es nicht mehr erleben, dass endlich 1912 die Columbia University sein Angebot annahm, eine Ausbildungsstätte für Journalisten zu finanzieren. So entstanden die Columbia Journalism School und in der Folge der renommierteste Journalistenpreis der Welt: der Pulitzer-Preis.
Die mediale Boomzeit vor der Jahrhundertwende nutzte auch den seriösen Zeitungen, allen voran der noch heute als globaler Maßstab geltenden „alten Dame“ namens
New York Times
. Ihren Namen und ihre große Reputation bekam die Zeitung, die 1851 von Henry J. Raymond und George Jones als
The New-York Daily Times
gegründet worden war, erst 1896 mit der Übernahme durch Adolph Ochs, dessen Nachfahren noch heute den Herausgeber des Blattes stellen. Von Ochs stammt der noch heute auf der Titelseite prangende Leitspruch „All the news that’s fit to print“, sogar die wöchentliche Buchbeilage, die er im Jahr seiner Übernahme ins Leben rief, existiert nach wie vor:
The New York Times Book Review
. Aber schon Raymond und Jones hatten ihre Gründung als bewusstes Gegenprogramm zu den Sensationsblättern der Stadt verstanden.
So wie sich neben den Sensationsblättern seriöse Medien etablierten, versuchten einzelne Journalisten, neben „sex & crime“ auch Enthüllungen der seriösen Art zu etablieren. Die erstmalige Verwendung des – anders als im britischen Englisch, wo „muckraker“ so viel wie „Schmierfink“ heißt, also die unseriöse Variante des Enthüllungsjournalismus meint – im amerikanischen Englisch noch heute gebräuchlichen Begriffs „muckraker“ wird dem späteren amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt zugeschrieben. Neben der klassischen Investigation von Korruption und politischen Malversationen ging es auch um die Beschreibung von sozialen Missständen, in der sich neben hauptberuflichen Journalisten – die berühmtesten waren Ida Tarbell, Lincoln Steffens und Ray Stannard Baker – auch Autoren wie Charles Dickens oder Mark
Weitere Kostenlose Bücher