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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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gewesen -, dann hätte sie sich eine Welt voller Aberglauben und Leid vorgestellt. Es wäre ein Ort gewesen, wo obszön reiche und mächtige Aristokraten die große Zahl der im Elend lebenden, schmutzigen Bauern unterdrückte, die wiederum ein scheußliches, stumpfsinniges und kurzes Leben führten. Doch sie beobachtete nun, dass die geschäftigen Leute um sie herum zwar zugegebenermaßen schmutzig aussahen und wohl nicht alt wurden, aber ziemlich glücklich zu sein schienen - allein nach der freundlichen, gutmütigen Atmosphäre zu urteilen, die auf dem Platz im Zentrum der alten Stadt herrschte. Wohin sie auch schaute, erblickte sie lächelnde und lachende Menschen, die sich zur Begrüßung die Hand gaben und küssten. Sie trugen eine ziemlich einheitliche Kleidung aus tristen Braun- und Grüntönen - die Männer weite, knielange Mäntel und Kniehosen, die Frauen kurze Mieder und lange, bauschige Röcke. Nichtsdestotrotz schienen sie wohlhabend genug zu sein.
    Es waren die Frauen, die vor allem Minas Aufmerksamkeit erregten. Nach dem zu urteilen, was sie von ihrem Sitz im Wagen aus sehen konnte, war langes Haar eindeutig in Mode: Es wurde hochgesteckt und extravagant gelockt oder geflochten getragen. Und fast jede hatte sich einen Hut auf den Kopf gesetzt. Einige Frauen bedeckten ihre kunstvoll arrangierten Locken mit feinen, spitzenbesetzten Hüten, die meisten jedoch trugen einfache Leinenhauben. Auch Schals gab es im Überfluss. Während die Röcke recht schlicht waren, ließ sich Gleiches von den Umhängetüchern nicht sagen: ob mit Fransen oder Quasten besetzt, ob rechtwinklig geschnitten oder rund, ob fein gewebt oder gestrickt - alle waren so bunt und leuchtend wie nur möglich: Sie strahlten in purpurnen, gelben, blauen und grünen Farben, und dies in jeder nur denkbaren Kombination. Tatsächlich trugen sowohl die Männer als auch die Frauen Umhängetücher. Und die Kinder, von denen es sehr viele gab, waren genauso wie die Älteren gekleidet: Sie wirkten wie kleine Erwachsene.
    Die Menschenmenge auf dem Markt nahm Minas Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch, sodass sie aufschreckte, als die große Uhr im Rathausturm das zweite Mal seit ihrer Ankunft auf diesem Platz schlug. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr durch das lange Sitzen kalt geworden war. Sie rieb sich die Arme und blies in ihre Hände. Wo war nur Etzel abgeblieben?
    Wie eine Antwort auf ihre in Gedanken gestellte Frage hörte sie ein Pfeifen. Sie drehte sich um und sah ihren Reisegefährten, der in seinen Armen etliche in Tuch gewickelte Bündel trug. Er zwängte sich durch das Gedränge auf sie zu und wurde dabei von einer kleinen Horde zerlumpter Schmuddelkinder umgeben.
    »Wilhelmina!«, rief er, als er den Wagen erreichte. »Das Glück ist mit uns!«
    Er begann, ihr die Bündel hochzureichen. Mina nahm sie entgegen und verstaute sie hinter dem Wagensitz. Die Kinder schrien in einer Sprache, die Mina nicht verstand. Was sprachen eigentlich die Leute in Prag? Tschechisch? Slowakisch?
    »Es gibt nur eine Bäckerei am Platz«, verkündete Etzel. »Und sie ist sehr klein.« Er gab ihr ein weiteres Bündel. »Das ist für dich.«
    »Für mich?« Wilhelmina empfand eine unerwartete Freude, und sie genoss es. »Was ist es?«
    »Mach auf, dann wirst du es sehen.«
    Sie zog an einer der Schnüre und wickelte das Bündel auseinander. Mehrere kleine glasierte Kuchen mit gehackten Nüssen und winzigen Samen kamen zum Vorschein. »Honigkuchen!«, gurrte sie. »Wie süß von dir.«
    Er strahlte übers ganze Gesicht. Ein weiteres Bündel gab er dem größten der Gassenjungen um ihn herum. »Teil es mit deinen Brüdern und Schwestern«, wies Etzel ihn nachdrücklich an. Dabei sprach er Deutsch, was die Kinder zu verstehen schienen.
    Der junge Bursche öffnete das Bündel und verteilte anschließend weiße Plätzchen an seine lärmenden Kameraden, die nun auf und ab sprangen, um ihre Leckerbissen zu bekommen. Bald war alles aufgegessen, woraufhin Etzel sein Gefolge fortscheuchte. Er ermahnte sie noch, gut zu sein, die Messe zu besuchen, den Eltern zu gehorchen und morgen zurückzukommen.
    »Die sind aber lecker!«, rief Mina aus, die sich wieder an ein Lieblingswort ihrer Großmutter erinnerte. Sie streckte Etzel einen der Kuchen entgegen.
    »Ich bin froh, dass du sie magst«, erklärte er und biss in das Gebäck hinein. »Das hier ist ein guter Platz«, merkte er an und kaute nachdenklich. »Mir gefällt es hier.«
    »Was sollen wir nun tun?«, fragte

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