Die Zeitwanderer
Flasche aus Steingut, die Wein zu enthalten schien.
»Nimm, was immer du möchtest«, lud Etzel sie ein. Er streckte den Arm aus und brach vom Brot ein Stück ab. »Einfach so, ja?«
Mina folgte seinem Beispiel, brach etwas Brot ab und steckte es sich in den Mund. Es war schwer zu kauen und mit Kümmel gewürzt - so wie ihre Mutter und Großmutter es zu backen pflegten. »All diese Fässer und Säcke da hinten ...«, sagte sie nuschelnd, während sie auf einem zweiten Stück Brot kaute. »Bist du ein Handelsreisender?«
»Nein«, antwortete er und langte nach einem Apfel. »Du musst unbedingt den Käse versuchen«, drängte er sie. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin niemals zuvor außerhalb von Bayern gereist.«
»Du bist also ein Bayer?«
»Ja, ich komme aus Rosenheim. Das ist eine kleine Stadt, etwa sechzig Kilometer von München entfernt. Du hast sicherlich noch nie etwas von ihr gehört.« Er führte den Apfel an die Lippen und trennte ihn mit einem einzigen Biss sauber in zwei Hälften. »Schmeckt dir das Brot?«
»Ja, sehr; es ist köstlich«, erwiderte sie.
»Ich habe es selbst gebacken«, erklärte Etzel in einem etwas schüchternen Tonfall. »Ich bin Bäcker.«
»Wirklich?«, entfuhr es Wilhelmina verblüfft. »Was für ein Zufall - ich habe denselben Beruf. Ich bin Bäckerin.«
Etzel wandte sich auf seinem Sitz um und betrachtete sie; über seinen pausbackigen rosaroten Wangen waren die blauen Augen vor Erstaunen weit aufgerissen. »So etwas wie Zufall gibt es nicht. Daran glaube ich nicht.« Dann verkündete er pathetisch: »Dies ist eine Begegnung von größter Fortüne.«
»Fortüne?« Sie rätselte, was er mit diesem Begriff ausdrücken wollte. »Fortüne ... Fatum ... Meinst du Schicksal?«
»Schicksal!« Er sprach das Wort aus, als würde es sich säuerlich in seinem Mund anfühlen. Sein rundes, heiteres Gesicht legte sich in Falten, während er nachdachte. »Es ist ...«, begann er und hielt dann inne. Schließlich rief er triumphierend aus: »Vorsehung! Ja, es ist die Vorsehung, die uns zusammengebracht hat. Du musst nämlich wissen, dass ich dringend jemanden benötige, der mir beim Backen hilft.« Er legte eine Hand auf die Brust. »Und du bist eine Bäckerin, die dringend einen Freund benötigt, wie ich glaube - und vielleicht noch andere Hilfe, nicht wahr?«
Es stimmte, was er sagte, wie Mina sich eingestehen musste.
Anschließend enthüllte er den Grund für seine Reise nach Prag. »Es sind recht harte Zeiten gegenwärtig in Bayern - auch im ganzen übrigen Deutschen Reich, wie ich glaube. Alles ist sehr schwierig. In Rosenheim habe ich zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder als Bäcker gearbeitet, aber dort gibt es nicht mehr länger genug Kundschaft, um uns alle zu ernähren. Albrecht, mein Bruder, hat eine Familie, verstehst du, und das bisschen Geld, das wir noch verdienen, braucht er mehr als ich.« Seine Stimme klang traurig, als er fortfuhr: »Ich bin der zweitgeborene Sohn, und ich habe weder Frau noch Kinder.« Er hielt inne und nickte vor sich hin, als wollte er sich selber bestätigen, dass seine Situation tatsächlich so war. »Letzten Monat haben wir drei uns zusammengesetzt und nach vielen Bieren einen Plan geschmiedet. So war das! Sie schicken mich nach Prag, um zu prüfen, ob ich dort einen neuen Laden eröffnen kann.«
»Nun, ich hoffe, dass es sich für dich auswerkt.«
»Auswerkt?« Der Sinn dieses Wortes - eine verunglückte Übersetzung des englischen Ausdrucks to work out - verschloss sich ihm. »Auswirken? Ausarbeiten? Klappen?«
»Ach ... Gelingen oder Erfolg haben. Das meine ich.«
Er nickte. »Weißt du, was sie über Prag sagen?«
»Nein«, gestand Mina, die Etzels freundliches, sanftes Benehmen mochte. »Was sagen sie denn?«
»Sie sagen, dass derzeit in Prag die Straßen mit Gold gepflastert sind.« Er lachte. »Natürlich glaube ich nicht an so etwas. Es ist bloß so eine Art und Weise zu sagen, dass die Verhältnisse dort besser sind.« Er zeigte ein liebenswürdiges Achselzucken. »Ich selbst würde mich nicht so ausdrücken. Aber ich weiß, dass die Dinge nicht schlechter sein können als in Rosenheim.« Er nickte. »Dort muss es besser sein.«
»Ich hoffe, dass du recht hast«, meinte sie.
Der Wagen holperte weiter die Straße entlang. Als der düstere Tag schließlich zu schwinden begann, kamen ein paar mehr Bauernhöfe und Häuser in Sicht, die verstreut an den Abhängen der Hügel und neben der Straße lagen. Zu guter Letzt
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