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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Verlauf der nächsten Tage kamen sie mit der Einrichtung ihres Ladens gut voran. Maurer und Zimmerleute erschienen, um den Ofen zu errichten; und Mina überredete sie, eine einfache Ladentheke und ein paar Regale anzufertigen, wofür sie kostenlos einen Monat lang Brot erhalten würden.
    Engelbert betrachtete dies als unnötig und verschwenderisch, wie Mina seinem entsetzten Gesichtsausdruck entnehmen konnte. Doch sie erklärte ihm, dass diese Handwerker in vielen Haushalten und für reiche oder zumindest wohlhabende Kunden arbeiteten. »Mundpropaganda ist die beste Werbung«, erläuterte sie ihm. »Und es kostet uns wenig genug. Sobald die Leute von unserem wundervollen Brot hören, werden sie auf der Straße Schlange stehen, um es in die Hände zu bekommen.«
    Bei jeder sich bietenden Möglichkeit erkundete Mina die Stadt - angefangen von der großen Teynkirche am Altstädter Ring. Am Sonntag riss Engelbert sie aus dem seligen Schlummer, damit sie mit ihm dort den Gottesdienst besuchte. »Um den Herrn für unser Glück und die Rettung unserer Seelen zu danken«, verkündete er.
    Obwohl Wilhelmina wenig von dem verstand, was in der Kirche vor sich ging, fand sie Gefallen an der Messe. Sie mochte die Pracht und den Prunk, die Düfte und Glocken, die laute Musik der Hymnen, die eindrucksvolle Architektur und die majestätischen Roben der vielen Priester. Vor allem machte es Engelbert glücklich; und Mina hatte das Gefühl, ein besserer Mensch zu sein, weil sie hingegangen war.
    Zu anderen Zeiten durchstreifte sie ganz nach Lust und Laune die Stadt. Sie borgte ein wenig Geld von Engelbert und erwarb für sich einen guten, strapazierfähigen Rock, zwei langärmelige Kittel aus weißem Leinen, Unterwäsche, ein hübsches Mieder, eine Schürze, ein rotes Umhängetuch, drei Paar dicke Strümpfe sowie derbe Lederschuhe mit Messingschnallen und festen Sohlen. Mit Ausnahme der Leibwäsche waren alle Kleidungsstücke gebraucht, doch sie besaßen eine gute Qualität. Außerdem trug sie bunte Kopftücher, um ihr zu kurzes Haar zu verbergen und sich besser den anderen Frauen anzugleichen, sodass man sie nicht mehr länger fälschlicherweise für einen Mann halten würde. In dieser Verkleidung - das war es nämlich in ihren Augen - gestattete sie es sich, mal hierhin und mal dorthin zu spazieren. Dabei hielt sie stets die Augen auf nach Bäckereien, um ein ganz klein wenig Wirtschaftsspionage zu betreiben. Manchmal erfasste sie einen Duft und ließ sich dann von ihrer Nase zur Geruchsquelle führen. Und was sie in Erfahrung brachte, war ebenso aufschlussreich wie praktisch.
    Innerhalb kürzester Zeit entdeckte sie, dass in Prag das Brot schwer, fest gebacken und dunkel war. Es wurde fast ausschließlich aus Roggenmehl hergestellt und meistens mit Kümmel gewürzt; sein Geschmack war bitter und nicht unbedingt angenehm. Auch vertrocknete es ziemlich schnell: Alle hatten sich daran gewöhnt, es in Milch oder Wasser einzuweichen, wollten sie auch nur den Hauch einer Chance haben, es nach dem ersten Tag noch zu essen. Aus Gründen, die Wilhelmina nicht ersichtlich waren, beharrten die Bäcker dieser Stadt darauf, dieses lebenswichtige Grundnahrungsmittel in riesigen Laiben anzufertigen, die danach in dicken, verschieden großen Scheiben geschnitten und wie Schlachtfleisch verkauft wurden: Schnitte aus der Mitte des Brotlaibs brachten das meiste Geld ein, die Endstücke gingen für viel weniger über die Ladentheke.
    Wohin sie auch ging - stets sah sie das Gleiche: das gleiche schwarze Brot, die gleichen dicken, klobigen Scheiben, die gleichen Preise und, wie sie vermutete, die gleiche uninspirierte Rezeptur, die überall in der Stadt, wenn nicht sogar im ganzen Land, zur Anwendung kam. Mit dieser Sachlage schien jeder zufrieden zu sein - aber warum dies so sein sollte, vermochte sich Mina nicht zu erklären. Ihrer Auffassung nach war das Brot hier einfach nur widerlich. Offensichtlich waren die liebenswürdigen Bewohner von Prag an lange Leidenszeiten gewöhnt.
    »Wir können das besser«, erklärte sie eines Tages Engelbert, nachdem sie von ihrem jüngsten Streifzug zurückgekehrt war. »Und wir werden das besser machen. Wir werden unseren Kunden etwas Neues und ganz anderes geben - etwas, das sie noch nie zuvor gesehen oder geschmeckt haben. Bald werden wir die erfolgreichsten Bäcker in der Stadt sein - ja sogar im ganzen Land. Jedermann in Prag wird Loblieder auf Etzel Stiglmaier singen.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte er

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