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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly McCullough
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Färberhang trennte, konnte mich kaum bremsen.
    Ich breitete einfach die Arme aus und überließ es Triss, mächtige, segelartige Schattenschwingen auszubilden. Dann rannte ich los und warf mich in die Luft, um einfach über den Abgrund hinwegzugleiten. Segelspringen war mehr als bloßes Springen, wenn auch weniger als echtes Fliegen, und es ließ sich durch Magie im Bedarfsfall oder wenn man sich keine Sorgen machen musste, entdeckt zu werden, noch in die Länge ziehen. Der einzige echte Nachteil dieser Methode bestand darin, dass an Triss einfach nicht genug dran war, mich zu umhüllen und Schwingen auszubilden. Für die kurzen Sekunden des Überflugs war ich vor neugierigen Augen nicht mehr geschützt.
    Aber das schien mir ein geringer Preis zu sein, gemessen an der Freude, die die Erfahrung mit sich brachte. Ich fühlte mich dabei jedes Mal, als wäre ich wieder fünfzehn. Damals hatten Triss und ich uns häufig bei Nacht auf das Tempeldach geschlichen, nur um uns vom Rand zu stürzen und den langen, schwindelerregenden Gleitflug hinunter zum See zu machen. Als ich auf der anderen Seite der Marktstraße wieder landete, spürte ich für einen Moment einen Stich des Neids auf die Vögel. Die konnten sich an jedem Tag ihres Lebens so fühlen.
    Mit Triss über die Dächer zu jagen war eine sonderbar zwiespältige Erfahrung, zugleich dual und singulär, vertraut und fremd, Finsterling und Mensch. In Augenblicken wie diesen, in denen mich mein Vertrauter umfing und überdeckte, waren wir eher ein als zwei Wesen, existierten in der Haut des jeweils anderen, wenn wir auch unser Bewusstsein nicht mit dem des anderen verschmolzen, wie es manch andere Vertraute mit ihren Gefährten taten.
    Triss’ Kräfte wurden zu einer Verlängerung meines Willens, seine Sinne standen mir zur Verfügung, und dennoch gab es zwischen uns immer noch eine grundlegende Separation. Das lag nicht allein daran, dass Triss im Traum schwebte, während ich unsere vereinten Leiber kontrollierte. Die Finsterlinge gingen mit der Realität in einer Weise um, die dem menschlichen Erleben vollkommen fremd war. Selbst wenn Triss unsere Verschmelzung hellwach und bei vollem Bewusstsein hätte erleben können, gäbe es zwischen uns doch keinen gemeinsamen Verständigungsrahmen. Wollten wir unsere Gedanken teilen oder auch nur so einfache, abstrakte Vorstellungen, wie sie ein Mensch, dessen Vertrauter eine Katze war, mühelos hätte bewältigen können, würden wir stets auf die Sprache zurückgreifen müssen.
    Auf unserem Weg durch die Stadt mussten wir noch zweimal eine zu breite Lücke überqueren, und ich durfte erneut für ein paar glanzvolle Sekunden ein Vogel sein. Beide Male überflogen wir Kanäle, die vom Fluss Zien ausstrebten. Der beinahe drei Meilen lange Weg führte uns fort von den Abscheulichkeiten der Stolprer an den Fuß des Sovannhügels und schließlich auf der Westseite hinauf in die sorgsam gefertigte unechte Wildnis der königlichen Domäne. Dort angelangt, mussten wir erstmals wieder auf den Boden zurückkehren.
    Wir näherten uns über einen weiten Umweg dem Haus. Wäre ich bereit gewesen, mich von der Ostseite des Parks aus heranzupirschen, so hätten wir unserem Ziel viel näher kommen können, ehe wir gezwungen gewesen wären, den Schutz der Dächer hinter uns zu lassen, aber das hätte uns auch sehr nahe an dem geheimen Kapitelhaus vorbeigeführt, das die Kronelite in diesem Viertel unterhielt. Ich verspürte keine Neigung, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Alternativ hätte ich mich weiter im Verborgenen halten können, hätte ich mich durch die Kloake genähert, aber ich pflegte den Schnellweg durch die Scheiße zumeiden, soweit es mir nur irgend möglich war, und ich sah in diesem Fall keinen zwingenden Grund, davon abzurücken.
    Der Weg durch den Park zum Marchon-Anwesen erschien mir beinahe kinderleicht und erforderte kaum mehr als die eine oder andere abrupte Erstarrung, wann immer eine Routinepatrouille des Weges kam. In diesem einen Punkt hatte mir der Tod meiner Göttin das Leben leichter gemacht, denn die meisten Leute glaubten, der Untergang ihres Tempels hätte die meinen ohne Ausnahme vernichtet oder in ein fernes Exil vertrieben. Das wiederum hatte dazu geführt, dass die Patrouillen gewisse Maßnahmen, die sie einst ergriffen hätten, in den vergangenen Jahren zunehmend vernachlässigt hatten.
    Und warum auch nicht? Obgleich mich schon der Gedanke schmerzte. In den fünf Jahren seit dem Sturz des Tempels hatte ich

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