Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
geschah fast eine Ewigkeit überhaupt nichts. Ich glaubte beinahe schon, ich hätte geträumt, als plötzlich ein Mann auf dem Stuhl gegenüber der Baronin saß und aussah, als säße er dort schon die ganze Zeit. Er nickte der Baronin salopp zu, als er die Tasse ergriff und die Hand nach dem zweiten Kännchen ausstreckte.
»Ihr seid beinahe pünktlich, Devin«, sagte die Baronin in schroffem Ton. »Wie um alles in der Welt konnte das passieren?«
In diesem Moment hatte sie mich wahrscheinlich davor gerettet, mich zu verraten, denn ich war sicher, aufgekeucht zu haben, als sie zu Reden ansetzte. Ihre Stimme war das Einzige, was Devin daran hinderte, mich zu hören. Nie im Leben hatte ich mehr bedauert, dass es Triss, wenn er einen Schleier um mich bildete, unmöglich war, mit mir zu kommunizieren. In dieser Form konnte er nicht einmal die kleinen Stupser verteilen, an denen er sich als mein Schatten so gern austobte, doch an der Tatsache, dass er all seine Aufmerksamkeit auf Devin konzentrierte, erkannte ich, dass Triss ebenso schockiert war wie ich, ihn hier vorzufinden.
Devin!
Am liebsten hätte ich seinen Namen laut hinausgeschrien, wäre aufgesprungen und hätte den Mann umarmt, dem er gehörte, einen Mann, den ich im Tempel als Bruder zu empfinden gelernt hatte. Selbst in diesem schlechten Licht konnte ich die vertrauten Züge nicht verkennen, die geschulte Haltung, die den Klingen, den Schwertführern Namaras, zu eigen war, und die abgenutzten Hefte, die über seinen Schultern aufragten.
Aber Devin war tot. Wie so viele andere war er gestorben, als der Tempel gefallen war. Zumindest war sein Name zusammen mit all den anderen in den großen Granitobelisken vor der Tempelruine graviert worden. Der Sohn des Himmels hatte befohlen, den Stein zum Gedenken des Sieges der himmlischen Mächte über die »Himmelsabweichlerin, Göttin der Gerechtigkeit von eigenen Gnaden und ihren verdrehten Kult der Königs- und Priestermörder« zu errichten.
Fünfhundert Namen waren in den Stein geritzt worden, Priester und Klingen, Novizen und Meister. Von all den Dienern der Göttin waren keine zwei Dutzend der Totenliste entgangen, und jeder Einzelne war auf den Plakaten vermerkt, auf denen die Ächtung erklärt und ein Kopfgeld für jeden von uns ausgelobt wurde.
Auch das hatte zu meiner Überzeugung beigetragen, dass der Himmel sich tatsächlich gegen meine Göttin gewandt hatte. Wirklich jeder Name war verzeichnet, dabei war die Liste der Klingen ein Geheimnis, von dem nur vollwertige Ordensmitglieder und ein paar wenige Hohepriester wussten, und wir alle waren durch mächtige Schwüre und todbringende Magie an unser Wort gebunden, sie nie preiszugeben. Und doch, da waren wir, unser aller Identität auf himmlischen Erlass der ganzen Welt offenbar.
Devin Urslan war tot, sein Name für alle Zeiten geschrieben in den schwarzen Granit des Grabsteins einer ganzen Religion. Und doch saß er da zusammen mit einer Angehörigen der Adelsklasse von Tien und schenkte sich in aller Ruhe eine Tasse Tee ein – nein, Efik. Der schwere, rauchige Duft drang an meine Nase, als er eingoss, und für einen Moment verspürte ich eine tiefe Sehnsucht, die ich reflexartig verdrängte. Dieses Leben war für immer verloren, gemetzelt vom Sohn des Himmels und seinen Göttern. Devin allerdings auch.
Wie es schien, konnte ich meinen Verstand nicht dazu bringen, mit dem Widerspruch zurechtzukommen, den ein Devin darstellte, der einerseits tot und begraben war und andererseits lebendig sein Efik genoss. Doch wo das Denken versagte, übernahm die im Tempel erworbene Disziplin die Führung. Aral, der Löhner, verschwand, und ich kehrte zurück als Klinge, als Aral, der Schwertführer.
Die Priester und Lehrer, die mich zu einer lebenden Waffe für die Hand der Göttin gemacht hatten, waren entschlossen gewesen, ein Werkzeug zu schaffen, dass seine Aufgabe auch unter den widrigsten, verwirrendsten Umständen erfüllen konnte. Erlernte Verhaltensweisen, die tief in mir wurzelten, traten wieder zutage.
Innehalten. Situation erfassen. Entschieden handeln.
Und so verzichtete ich darauf, loszustürmen, um den verloren geglaubten Bruder in die Arme zu schließen, und beschränkte mich darauf, zu lauschen und zu warten. Wenn die Zeit zu handeln gekommen war, würde sie sich mir zu erkennen geben.
3
B aronin Marchon, Ihr seid so liebreizend wie eh und je. Und ...«, Devin unterbrach sich und nahm einen Schluck Efik, ehe er fortfuhr, »so sich überhaupt
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