Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Abwasserkanälen unterhalb des Schlosses führte. Um die Reinigung zu erleichtern – es wäre wenig wünschenswert, den Gestank in den königlichen Gemächern zu verbreiten –, war dieser Schacht groß genug, dass ein Mensch in ihm Platz finden konnte.
Wäre dieser Schacht weniger gut gesichert gewesen, hätte er einen perfekten Zugang zu den königlichen Gemächern geboten, aber er wurde unten, auf der Höhe der Abzugskanäle, schlicht zu gut bewacht. Das hatte Meister Urayal durch seinen Tod demonstriert, und ich selbst hatte es durch meine eigenen, ausgiebigen Erkundungstouren in der Unterwelt Tiens bestätigen können. Aber ich war nicht an dem Schacht oder den Kanälen interessiert.
Flink hebelte ich die Marmorbank mit dem Loch hoch und stellte sie zur Seite. Dann, komplizierter und weitaus unschöner, zog ich das Rohr heraus. Ersteres ließ ich an der Wand stehen, Letzteres zerrte ich in den Kleiderschrank des verstorbenen Prinzen. Das eröffnete einen Weg zum zentralen Schacht, den ein flüchtender Assassine rasch und mühelos einschlagen konnte.
Als Nächstes öffnete ich meinen Trickbeutel und nahm eine Räucherkerze heraus, die ich so weit unten, wie es mir möglich war, an der Schachtwand befestigte. Von oben konnte ich nur das schwache Glimmen der Banne ausmachen, die in das Wachs und das halbe Dutzend Dochte eingeprägt worden waren. Ich war gerade dabei, mich zurückzuziehen, als der Lichtschimmer teilweise von einer zerfetzten, verrotteten Hand verdeckt wurde, die nach meinem Unterarm griff.
Dieses flüchtige Schattenbild gab mir einen kritischen Moment Zeit, um mich mit der anderen Hand am Rand des Aborts festzuhalten. Ohne diesen Vorsprung hätte der heftige Ruck, den die Hand mir verpasste, mich über den Rand gezogen und kopfüber den langen Schacht hinuntergeworfen. Aber auch so war das eine äußerst knappe Angelegenheit. Schmerz raste durch meinen Arm, als die Knochen in meinem Handgelenk durch den unmenschlich starken Griff des Dings zusammengepresst wurden, das dort in der Tiefe gelauert hatte. Und dann fing es an zu ziehen.
Ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien, als mein rechter Oberarmknochen sich aus dem Schultergelenk lösen wollte. Und als ich die Hand verdrehte und meinerseits den Unterarm des Dings umklammerte und an ihm zu zerren begann, tat es noch mehr weh.
»Triss!«, zischte ich. »Hilf mir mit diesem Ding!«
Schatten schossen meinen rechten Arm hinab, um sowohl meinen Unterarm als auch die Hand, die an ihm zerrte, mit flüssiger Nacht zu umfangen. Sofort ließ der Druck nach. Gleichzeitig schlangen sich Tentakel purer Finsternis um meinen Oberarm und meine Schultern und unterstützten meine Kraft mit Hilfe von Triss, während ich darum kämpfte, das Ding in den Abortzu holen. Das Ding wiederum wehrte sich, auch wenn es, von einem grässlichen Scharren und Kratzen an der Steinwand des Schachts abgesehen, keinerlei Geräusche von sich gab, während ich es langsam ins Licht zerrte.
»Achtung«, sagte Triss mit sanfter, aber drängender Stimme. »Es wird ...«
Plötzlich hörte das Ding auf, sich zu wehren, und schaffte es irgendwie, sich aus dem Hals des Aborts heraus auf mich zu stürzen und mit der freien Hand nach meiner Kehle zu greifen. Es traf auf ein Schild aus Dunkelheit und glitt ab, ohne dass seine Finger ihr Ziel gefunden hätten, und wir fielen gemeinsam aus der Tür des Aborts in den dahinterliegenden Raum und stießen unterwegs die Diebeslampe um. Das wiederum veranlasste die Blenden, sich zu schließen – sie war so gestaltet, dass sich diese schon bei der kleinsten Erschütterung schlossen – und den Raum in totale Finsternis zu stürzen.
Hart prallten wir auf dem Boden auf. Mein Angreifer war über mir, und seine knochigen Knie bohrten sich in meine Rippen, als er anfing, seine Beine an meinen Körper zu pressen, aber ich war vorbereitet. Noch während wir durch die Tür geflogen waren, hatte ich kurz meinen linken Arm geschüttelt und so das Messer aus meiner Unterarmscheide in meine Hand befördert. Nun trieb ich die schmale Klinge in das weiche Fleisch in der rechten Achselhöhle des Monsters.
Es zuckte nicht einmal, als der Stahl bis zum Heft eindrang. Stattdessen versuchte es mit eben dieser Hand erneut nach meiner Kehle zu greifen. Dieses Mal konnte Triss es nicht abwehren, schaffte es aber, eine dicke Schicht seiner selbst zu einer Art Ringkragen zu formen, der verhinderte, dass mir das Ding gleich die Kehle
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