Die Zerbrochene Kette - 6
schrie er.
Rohana war totenbleich geworden. Mit leiser Stimme gab sie zurück: »Gabriel, Jaelle ist kein Kind mehr. Sie hat den Eid der Freien Amazonen geleistet, und dem Gesetz nach tragen weder du noch ich irgendeine Verantwortung für das, was sie tut, sei es unter diesem Dach oder einem anderen. Ich bitte dich sehr, dich zu mäßigen. Setz dich hin und iß dein Frühstück.«
»Halte du mir dies schmutzige Gesetz nicht vor!« Dom Gabriels Gesicht war so dunkel und so wutverzerrt, daß Magda einen Schlaganfall befürchtete. »Jaelle ist eine Frau der Comyn! Gegen meinen Willen hast du ihr die Erlaubnis gegeben, sich diesen Weibern zuzugesellen! Siehst du ein, was du damit angerichtet hast? Eine Frau unseres Clans, verführt und betrogen…« Er hob tatsächlich den Arm, als wolle er Rohana schlagen.
Jaelle sprang entsetzt in die Höhe. »Onkel! Für nichts, was ich getan haben mag, trifft Rohana die Schuld! Wenn du unbedingt wie ein Verrückter herumtoben mußt, halte dich wenigstens an mich!« verlangte sie zornig. »Ich bin eine erwachsene Frau, dem Gesetz nach meine eigene Herrin und fähig, mein Leben selbst zu gestalten.«
»Gesetz, Gesetz, sprich du mir nicht von dem Gesetz!« Gabriel geriet außer sich. »Keine Frau ist fähig, ihr Leben selbst zu gestalten, und es spielt gar keine Rolle, was dein… Gesetz…« Es war, als ersticke er an seinem Zorn. Er brachte nur noch Gestammel heraus, dann ballte er die Fäuste, schwankte und fiel krachend über den Tisch. Das Porzellan klirrte, ein Kupfergefäß mit einem dampfend heißen Getränk kippte um und durchweichte das Tischtuch. Dom Gabriels Kopf prallte heftig von der Platte zurück. Er stürzte schwer, sein Körper krümmte sich rückwärts, seine Fersen trommelten in immer wiederkehrenden Anfällen auf den Fußboden. Kyril, im ersten Augenblick vor Schrecken bewegungslos, lief hin, um ihm aufzuhelfen. Aber Rohana war bereits da und bettete den Kopf des Bewußtlosen auf ihren Schoß.
»Laß ihn liegen, bis es vorbei ist«, befahl sie mit leiser, zorniger Stimme. »Für einen Morgen hast du genug angerichtet. Geh und rufe seinen Mann, damit er hilft, ihn ins Bett zu bringen. Bist du zufrieden, Kyril? Weißt du jetzt, warum ich dich inständig gebeten habe, ihn nicht zu provozieren oder aufzuregen? Glaubst du im Ernst…« – sie hob die flammenden grauen Augen –, »… unter diesem Dach gehe irgend etwas vor, von dem ich nicht weiß oder das ich nicht gestatte?«
Jaelle war die Kehle so eng, daß sie nicht sprechen konnte. Sie hatte schon epileptische Anfälle bei anderen gesehen, aber noch nie bei Dom Gabriel. Sie sah Rohana an, die auf dem Boden kniete und den Kopf ihres Mannes hielt, und begriff mit einemmal, warum Rohana so viel Zeit ihres Lebens darauf verwandte – Jaelle hatte oft gedacht, so handele eine Törin, eine Skla vin –, Dom Gabriel in ruhigem und zufriedenem Gemütszustand zu erhalten, ihn nicht aufzuregen und seinen Zorn zu beschwichtigen. Rohanas Bürde wog viel schwerer, als sie geglaubt hatte.
Könnte ich so viel für einen Mann tun, auch wenn ich ihn noch so sehr liebte? Und Rohana wurde ihm von ihrer Familie gegeben, sie kannte kaum seinen Namen. Und doch hat sie es in so vielen Jahren fertiggebracht, sein Leiden vor allen Außenstehenden zu verheimlichen! Sie muß die Warnzeichen gesehen und versucht haben, das Unheil abzuwenden…
»Mutter, verzeih«, flehte Kyril. »Ich war ehrlich überzeugt, er müsse es erfahren.«
Rohana streifte ihn mit einem Blick äußerster Verachtung. »Wirklich, mein Sohn? Du erträgst den Gedanken nicht, irgendeine Frau bringe es fertig, dir nicht wie einem Gott zu gehorchen! Und nun hast du geglaubt, sie sei dir auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Wie schäbig du denkst, Kyril! So wolltest du deinen verwundeten Stolz heilen und dich an Jaelle rächen. Durch deine Schuld hat dein Vater einen Anfall bekommen und wird tagelang krank sein.« Seine Entschuldigungen wollte sie nicht hören. »Geh und ruf seinen Leibdiener, hilf ihm, ihn ins Bett zu tragen, und spare dir weitere Worte. Du hast unsere Gäste beleidigt, und das werde ich dir lange nicht verzeihen.«
Kyril ging mit finsterem Gesicht, und Jaelle trat zu Rohana. »Rohana, es tut mir leid – ich hatte mir nicht klargemacht…«
Rohana seufzte und lächelte ihr zu. »Natürlich nicht, Kind; du glaubtest, es mit einem rational denkenden Mann zu tun zu haben. Du hast dir mehr Zurückhaltung auferlegt, als ich dir zugetraut hätte, und nichts
Weitere Kostenlose Bücher