Die Zerbrochene Kette - 6
gesagt, was nicht der Wahrheit entspräche. Und ich weiß, daß Kyril dich provoziert hatte.«
Ihr Blick blieb auf Jaelles Armen hängen, als könne sie die schmerzhaften Male dort sehen, und Jaelle fragte sich: Ob sie jetzt meine Gedanken liest?
Kyril und der Leibdiener trugen den bewußtlosen Dom Gabriel hinaus, und Rohana erhob sich. Sie sah müde und mitgenommen aus.
»Ich weiß, ihr drei…« – ihr Blick schloß Peter und Magda mit ein – »… habt für heute eure Abreise geplant. Könnt ihr sie noch um einen Tag aufschieben? Heute muß ich hierbleiben und mich vergewissern, ob Gabriel sich erholt. Morgen kann ich mit euch nach Thendara reiten.«
»Du willst mit uns kommen? Warum?« fragte Jaelle.
Rohana sah zu Magda hin. »Weil ich eine sehr wichtige Entdeckung gemacht habe und mit Lorill Hastur sprechen muß. Er ist in einer falschen Vorstellung befangen, die die ernstesten Konsequenzen für unsere beiden Welten haben kann, wenn sie nicht sofort berichtigt wird. Wollt ihr euch also meine Gesellschaft auf der Straße nach Thendara gefallen lassen, brechen wir morgen früh zusammen auf.«
16
Es regnete, als sie die Reiseunterkunft in der Abenddämmerung erreichten. Sie stiegen ab, und Rohana sagte: »Ich hatte gehofft, heute noch nach Thendara zu kommen, aber ich habe keine große Lust, die halbe Nacht zu reiten. Morgen sind wir dann bestimmt da.«
»Dann werde ich froh sein«, bemerkte Magda. Gleich darauf fragte sie sich, was sie in Thendara erwarten mochte. Schon die Gnadenfrist dieser einen Nacht war ihr willkommen.
Sie sattelte ihr Pferd ab. Darrill, Sohn Darnaks, trat zu ihr und nahm ihr den schweren Sattel aus den Händen. Sie ließ ihn lächelnd gewähren und blieb neben ihm stehen, während er die Tiere fütterte. Darrill wartete, bis sich die Männer von Rohanas Leibgarde zurückgezogen hatten. (Die Frau des Lords von Ardais konnte natürlich nicht ohne ansehnliche Eskorte reisen!) Dann fragte er mit leiser Stimme: »Freust du dich, in deine eigene Welt zurückzukehren, Margali?«
Beunruhigt antwortete sie: »Ich bin mir nicht sicher, ob es noch meine Welt ist, Darrill. Ich habe mich den Freien Amazonen angelobt.«
»Aber… Piedro erzählte mir, du habest dich nur verkleidet, um ungefährdet reisen zu können.«
»Piedro weiß überhaupt nichts darüber«, stellte Magda mit unerwarteter Schärfe fest.
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich verstehe es selbst kaum«, gestand Magda. »Wahr ist, daß ich den Eid als Mittel zum Zweck geleistet habe und mir nicht wirklich klar darüber war, was es bedeutet. Später jedoch entschloß ich mich aus freiem Willen, ihn zu halten, und das werde ich weiterhin tun, einerlei, was geschieht.«
Darrill nickte bedächtig. »Das verstehe ich. Aber was werden die Terraner dazu sagen?«
Das ist die Frage, dachte Magda. Werde ich bis ans Ende meines Lebens ein Flüchtling vor der Justiz des Imperiums sein? »Ich versuche, Urlaub zu bekommen, damit ich meine Verpflichtung gegenüber dem Gildenhaus erfüllen kann«, antwortete sie. »Und ich glaube, daß ich danach imstande sein werde, effektiver für das Imperium zu arbeiten. Ich könnte dann vieles tun, was einer normalen Frau hier nicht möglich ist.«
Darrill sagte ganz leise: »Margali, als wir uns in der Mittwinternacht begegneten, war ich sehr beeindruckt von deinem Mut und deinem Unternehmungsgeist. Das hat keine Frau unseres Volkes, dachte ich, und ich sagte mir, es müsse daran liegen, daß du eine Fremde, eine Terranerin bist. Jetzt kommt es mir manchmal vor, als seiest du eher eine von uns. Jemanden wie dich habe ich noch nie kennengelernt.« Er sah ihr gerade in die Augen, und Magda dachte schon, er wolle sie küssen. Doch er schluckte, riß sich zusammen und trat ein Stück zurück. »Verzeih mir; ich muß meine Arbeit mit den Pferden beenden.«
Das tat er, und Magda ertappte sich bei dem Gedanken: Wenn ich nicht aufpasse, wird er sich in mich verlieben. Und das darf ich im Augenblick nicht zulassen. Ich muß sehr vorsichtig sein. Ein bißchen tat es ihr leid. Zu Mittwinter habe ich entdeckt, daß ich eine neue Beziehung zu meiner Welt entwickeln muß. Aber bevor ich mein Leben mit einem anderen Mann kompliziere, will ich mehr über mich selbst herausfinden!
Die Vorstellung, der junge Darrill könne sich in sie verlieben, mochte schmeichelhaft sein. Sie hielt es jedoch für grausam, ihre neue Einstellung zu den Männern dadurch zu erproben, daß sie sein Interesse und vielleicht sein Herz gefangennahm,
Weitere Kostenlose Bücher