Die Zerbrochene Kette - 6
Mädchen hatte getrunken und war noch nicht wieder nüchtern.
Jaelle sagte: »Oh, sei nicht böse auf mich, Schwester. Ich wollte nicht, daß das passierte, ich weiß, was du empfindest.«
»Böse?« Magda setzte sich hoch und schlang die Arme um Jaelle. »Liebling…« – das Wort, das sie benutzte, war breda – »… welches Recht hätte ich, böse zu sein? Glaubst du…« Plötzlich dämmerte ihr, was Jaelle meinte. »Glaubst du, ich sei eifersüchtig!«
Jaelle kicherte nervös. »So etwas ist zu Mittsommer leichter, wenn man in den Garten gehen kann. Wir haben den größten Teil der Nacht in den langen Galerien verbracht.« Ihre Zähne klapperten, ob vor Kälte oder vor Aufregung, konnte Magda nicht sagen. »Er… er hat mich gebeten, mit in sein Zimmer zu kommen.« Ihr Blick streifte die Verbindungstür. »Aber… aber ich wollte sicher sein, ich liebe es nicht, vorschnell Entscheidungen zu treffen. Und«, setzte sie nach einer kurzen Pause hinzu, wobei sie Magda bittend ansah, »ich wollte dir nicht – auf den Saum deines Kleides treten.«
Magda merkte, daß sie absurderweise immer noch Sprachstudien trieb und sich diese eigentümliche Redewendung merkte. Sie zog das zitternde Mädchen fest an sich. »Jaelle, alles, was zwischen Peter Haldane und mir war, ist lange, lange vorbei.« Während sie es aussprach, erkannte sie, daß es die reine Wahrheit war. »Liebst du ihn, breda!«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Jaelle. »Ich bin mir nicht sicher. So ein Gefühl habe ich noch nie gehabt.«
Magda ertappte sich bei der Überlegung, ob Jaelle Jungfrau sei. Nach ihren leichtfertigen Scherzen und von Erfahrungen zeugenden Bemerkungen hatte sie es nicht angenommen. Wiederum paßte diese Unsicherheit nicht dazu. Vielleicht las Jaelle ihre Gedanken – mittlerweile glaubte Magda beinahe, daß das möglich war –, denn sie meinte mit leiser Stimme und niedergeschlagenen Augen: »Es ist dumm, nicht wahr? Ich bin viele Male nahe daran gewesen. Kindra, die gesehen hatte, daß ich gern – mit Männern lachte und flirtete, riet mir, bevor ich den Eid leiste und mich binde, solle ich mir einen Liebhaber nehmen und mich auf diese Weise prüfen. Sie sagte, eines Tages könne es mich schwer ankommen, daß ich mich verpflichtet hätte, niemals zu heiraten. Nur konnte ich irgendwie keinen finden, dem ich… dem ich genug vertraute.«
Sich verteidigend, setzte sie hinzu: »So ist es nie zu mehr gekommen als Gelächter und Albernheiten. Auch habe ich nie einem Mann durch meine Neckereien das Herz gebrochen. Jetzt…« – sie sah verloren ins Weite – »… lache ich nicht mehr. Ich glaube, ich fürchte mich. Früher schreckte mich schon der Gedanke, mich einem Mann hinzugeben, das kam mir wie eine offene Tür in die Sklaverei vor… Doch mir scheint, meine Furcht davor, ihn… zu lieben, zu begehren, ist größer als damals. Ich kenne mich selbst nicht mehr!« Ihre Stimme bebte, und sie war den Tränen nahe. »Ich weiß nicht, was ich will. O Margali, Margali – Schwester, was soll ich tun?«
Magda fühlte sich hilflos. Was kann ich ihr sagen? Sie verstand, daß es für Jaelle, aufgewachsen unter Frauen, die durch den gemeinsamen Eid aneinander gebunden waren, ganz natürlich war, sich um Trost und Rat an eine andere Frau zu wenden. Ich bin verpflichtet, jede Frau wie meine Mutter, Schwester, Tochter zu behandeln… aber ich habe ständig unter so ganz anderen Gesetzen gelebt… Gott helfe mir, ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll! Wenn eine ihrer Freundinnen aus der Terranischen Zone – Bethany zum Beispiel – mit einer solchen Frage zu ihr gekommen wäre, hätte Magda ihr mit einem oberflächlichen oder sogar einem groben Witz ausweichen können. Jaelle durfte sie das nicht antun.
Was hätte Rohana ihr gesagt? Schließlich erklärte sie mit einer Stimme, die ebenso bebte wie die Jaelles: »Liebling, ich kann dir keinen Rat geben. Ich weiß nicht, ob dir überhaupt irgendwer einen Rat geben könnte. Du mußt tun, was deinem Gefühl nach das Richtige ist.« Zu ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich die Worte des Amazonen-Eides flüstern: »Ich schwöre, daß ich mich einem Mann nur hingeben werde, wenn ich den Zeitpunkt bestimmen kann und es mein eigener freier Wille ist…«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann wiederholte Jaelle: »… wenn es mein eigener freier Wille ist…« Sie lächelte und drückte Magda fest an sich. Und Magda erkannte, daß sie instinktiv die richtigen Worte gefunden hatte. Sie
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