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Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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spürte Jaelles Lippen auf ihrer Wange. Dann drückte Jaelle ihr wortlos die Hand und ging zu der Verbindungstür, die sich einen Augenblick später hinter ihr schloß. Sie kehrte nicht zurück.
    14
    Tag für Tag fiel der Schnee. Es schüttete vom grauen Himmel, als habe er vergessen, wie er damit aufhören solle. Dann, zehn Tage nach Mittwinter, wurde Magda von Jaelle geweckt, die auf ihrer Bettkante saß.
    »Wach auf, Schwester, die Sonne scheint!«
    Magda rannte ans Fenster. Der Himmel war voll von dicken, niedrigen, wattigen Wolken, durch die hin und wieder ein Sonnenstrahl drang. Im Hof unten schippten vermummte Männer mit langen Schaufeln die Wege frei, und Pferde, deren Atem in der Kälte dampfte, wurden für abreisende Gäste vorgeführt.
    Schnell fuhr Magda in ihre Reisekleider, und es tat ihr gar nicht leid, sie wieder anzuziehen. Jeder Tag, um den ihr Aufenthalt sich verlängerte, bedeutete eine neue Gefahr, daß man ihre wahre Identität entdeckte.
    Jaelle zog sich langsam an. Seit Mittwinter hatte sie die Nächte bei Peter verbracht, obwohl sie darauf geachtet hatte, sich morgens nicht von Dom Gabriels Dienstboten in seinem Zimmer antreffen zu lassen. Als Magda sie wegen ihrer Heuchelei freundschaftlich neckte, hatte sie gesagt: »Ich gebe nicht einen sekal darum, was Dom Gabriel von mir denkt. Er ist nicht mein Vormund, und ich schulde keinem Mann Rechenschaft. Noch weniger interessiert es mich, was seine Dienstboten von mir denken. Natürlich wissen sie Bescheid; solche Dinge wissen sie immer. Aber wenn mich niemand dort sieht, fühlt sich auch niemand berufen, Dom Gabriel zu informieren. Und obwohl er es wahrscheinlich ebenfalls weiß – er ist kein Dummkopf, und er hat beobachtet, wie wir uns ansehen –, wenn ein Diener ihm offiziell davon Mitteilung machte, würde er sich verpflichtet fühlen, von Rohana zu verlangen, daß sie mir Vorwürfe macht, weil ich als Comyn-Frau das Bett eines nichtadligen Mannes teile. Und seines Seelenfriedens wegen würde Rohana kommen und mich schelten, obwohl sie und ich, als ich sechzehn war, übereinkamen, daß sie nicht mein Vormund und nicht länger die Bewahrerin meines Gewissens ist. Und sie würde versuchen, mich nicht zu beleidigen, weil sie weiß, daß ich eine erwachsene Frau bin und Herrin meiner Handlungen, und ich würde versuchen, nicht unhöflich zu werden, weil ich sie liebe. Und wenn wir alle uns gezwungen hätten, diese Dinge zu sagen, würde ich weiter mit Peter schlafen, wann immer ich will. Deshalb halte ich es für klüger, das alles gar nicht erst in Gang zu bringen.«
    Magda schien das eine komplizierte Argumentation zu sein, aber sie mußte einräumen, daß es ihnen allen wahrscheinlich Verdruß ersparte. Es war sogar möglich, daß Dom Gabriel, wenn man ihm die Sache vortrug, sich gezwungen sehen würde, Peter zur Rechenschaft zu zie hen. Durch den Amazonen-Eid hatte Jaelle ihre Unabhängigkeit von seiner Vormundschaft erklärt, doch Magda hatte von Jaelle gehört, daß manche Männer sich immer noch weigerten, die Amazonen-Charta anzuerkennen.
    Peter schloß sich ihnen im Flur an. Im Weitergehen ergriff er Jaelles Hand, und Magda dachte an die Rückreise nach Thendara – sie drei Tage lang allein zusammen mit Peter. In mehr als einer Beziehung war das peinlich. Sie mißgönnte Jaelle nicht einen einzigen Augenblick ihres Glücks – und daß sie glücklich waren, daran konnte niemand zweifeln, der sie sah –, aber peinlich würde es doch werden, und am unangenehmsten war dann die Situation für sie, Magda!
    Die Familie von Ardais sowie eine Handvoll von Hausgästen und die Beamten des Gutes nahmen ihre Mahlzeiten für gewöhnlich in einem kleinen Frühstückszimmer abseits der Großen Halle ein. Als sie eintraten, hörten sie schallendes Gelächter. Dom Kyril erzählte eine lustige Geschichte. Das war ein beliebter Zeitvertreib im Winter, wenn alle Arbeiten im Freien eingestellt waren.
    »… Und jeder mußte eine kleine Fackel bei sich tragen, um seine Rede aufzutauen, damit man ihn hören konnte. Dieser Mann nun verdiente sich ein bißchen Geld damit, daß er alle gefrorenen Reden in einer Schubkarre sammelte und sie bei ihren Eigentümern herumfuhr. Nur war er nicht so gewissenhaft, wie er hätte sein sollen, und prüfte nicht nach, ob er sie auch bei den richtigen Eigentümern ablieferte. Als dann die Frühjahrsschmelze kam und alle Reden wieder auftauten, gab es schrecklichen Ärger. Der Maultiertreiber taute auf, was er seinem

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