Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
gegen die moralischen Bedenken und Einwände seiner Mitgötter bestehen müssen, als er ein Wesen schuf, das rasch in der Lage war, sich gegen ihn aufzulehnen? Ärgerte er sich nun wohl darüber ?
Fosite jedenfalls war eine Puppe, und das war wiederum etwas von Menschen Geschaffenes. Vielleicht wollte Gott mir damit sagen, dass ich ihn nicht für bare Münze nehmen durfte. Ich jedoch war durchaus angetan von dem kleinen Mann.
Helgoland war so grün. Der heilige Hain bestand nicht aus Krüppelkiefern, sondern aus lichten Birken, aus dickstämmigen Buchen, aus Eichen, unter denen Schweine wühlten. Fosite erreichte die Quelle am tiefsten Punkt des Hochlandes, und sie war ein schimmernder See von der Größe der Halle des Redjevens, in der sich all die Pracht des blauen Himmels und der sattgrünen Blätter spiegelte. In der Mitte tauchte immer wieder ein gezahnter Rücken auf, als ein fischschwänziges Monster in der Quelle tollte. Ich lachte, als Ynge aus meiner Jackentasche sprang und vergnügt am Ufer spielte. Sie sah aus wie ein echtes Kind, und sie machte sich vollkommen schmutzig. Als sie sich strahlend umwandte, sah ich jedoch wieder den Riss, der über ihren Schädel und ihr liebes Puppenauge wanderte, und es überlief mich kalt.
Sie war keine Person. Sie würde es auch niemals sein. Nicht meine Frau und schon gar nicht mein Kind.
Ich näherte mich dem Wasser, das undurchsichtig wie eine Silberplatte war. Keine Pflanze, keine Luftblase, keinen Grund konnte ich dadurch erkennen, aber eine perfekte Spiegelung meiner selbst. Ich war bärtiger, als ich für möglich gehalten hatte, und meinen Kopf umstanden braune Locken, die ich in zivilisierten Ländern stets hatte stutzen lassen.
Hinter mir ragten Flügel auf, und ich brauchte einige Momente, um zu begreifen, dass sie immer noch zu mir gehörten, wie in dem deutlichen Traum, in welchem Æmelie sie an mich weitergegeben hatte.
Die Pläne. Sie wusste damals schon, dass ich sie finden würde.
Wie konnte sie das wissen? Wie konnte eine Traumgestalt meiner selbst die Zukunft ahnen? Vielleicht träumte ihre Seele doch in Ynges Puppenkörper weiter, und ich war beileibe nicht wahnsinnig.
Ich bewegte die Flügel im Spiegel der Quelle. Sie waren aus Holz und Metall, und sie waren schrecklich schwer. Während ich sie nur durch die Bewegung meiner Schulterblätter, aus denen sie hervorragten, ausbreitete, drückte mich das Gewicht auf die Knie.
„Damit … kann ich nicht fliegen“, krächzte ich Fosite zu, und er blickte mich mit abschätzigen Puppenaugen unter seiner geckenhaften Matrosenmütze an. „Tatsächlich nicht. Aber du versuchst es ja auch nicht.“
Ächzend schlug ich mit den Flügeln. Tuch rauschte, Scharniere knarrten, Holz knackte. Eine Mechanik setzte sich in Gang, die einzelne Elemente aus Tuch quer stellte, um Wind durchzulassen und wieder verschloss, wenn ich gegen den Widerstand der Luft arbeiten sollte; ganz so, wie die Schwungfedern der Vögel es tun. Ich erhob mich wieder auf die Füße. Mit einer Willensanstrengung, die den Rahmen eines einfachen Traums sprengte, machte ich einen kleinen Satz – und befand mich plötzlich nur einige Fingerbreit über der spiegelnden Wasseroberfläche – ich schwebte, doch es war ein zerbrechlicher Moment, und ich wusste, ich würde hinabstürzen.
Als das Monstrum mit dem gezahnten Rücken den Spiegel zerschmetterte, von unten durch ihn hindurch brach, tat ich unter dem kindlichen Lachen des Fosite einen hastigen Flügelschlag und stieg – das schnappende Fischmaul verfehlte mich nur um Haaresbreite – durch die flirrend grünen Baumkronen auf. Als mir bewusst wurde, dass ich flog, war der Traum bereits vergangen, und ich erwachte von einem plötzlichen Scheppern in der Halle des Redjevens. Unwillig stöhnte ich, doch der Alte tupfte stoisch meine Stirn ab und murmelte, wie stets: „Wee sach, wee sach.“
Doch das Fieber war vergangen, ich wollte nicht länger ruhig sein, denn ich war wieder zu mir gekommen.
„Unter den Lebenden!“, sagte Tomke und verbarg die Freude in ihrem Lächeln gut. Die Frijheid war repariert. Ihre Gashülle war von stolzen Händen mit dem Wappen des Redjevens – zwei gekreuzten Speeren und skurrilerweise einem Grütztopf – bemalt worden, die Beschädigungen im Führerstand, im Maschinenraum, in der Gondel des Frachtraumes waren behoben. Geborgene Trümmer des großen schwarzen Luftschiffes lagen noch überall herum – sie gaben wichtiges Material ab: Holz, Metall,
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