Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
gewesen wäre.
Ich wusste nicht, wie man mit heidnischen Göttern sprach, schon gar nicht, wie man es tat, ohne sich bei seinen eigenen in Ungnade zu bringen, doch ich grub meine Rechte in den Schnee, drückte und schob und wühlte, bis ich steinigen, hart gefrorenen Boden fand. Fositeslun.
„Wenn es stimmt, dass du willst, dass ich lebe, dann lass mich nach Æsta zurückkehren. Wie Michæl mit dem Flammenschwert, das habe ich gelobt, oder vielleicht in deinem Sinne wie Þor mit diesem … Hammer.“ Meine Stimme erstarb. Die Kälte war nur noch Schmerz, der jedoch langsam nach- und mich müde zurückließ. Ich legte mich auf den Schnee, der Fosites Eiland bedeckte und blickte in das sternklare Himmelszelt hinauf, in dem uralte Götter ihre Kreise zogen. Meine Glieder wurden taub.
„Vielleicht irrst du dich – wie stets“, sagte die Puppe.
„Warum ist die Welt so schwer zu verstehen, Æmelie?“, fragte ich hinauf in die Sterne. „Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich tun soll in diesem Leben. Manchmal wünschte ich, es wäre zu Ende.“
„So siehst du aus, wie du hier liegst“, schnaufte eine Stimme, und jemand packte mich und hievte mich hoch. Protestierend wurde ich dieses Moments beraubt, und ich wehrte mich beleidigt. „Ich muss wohl sehr bitten!“
„Halt’s Maul, aarem Knech! Wenn ich dich hier liegen lasse, gibt sie mir die Schuld dran, dass du tot bist.“ Eiken schleppte mich nach Hause, ins Dorf der Likedeeler, und Fosites Antwort blieb ungehört hinter uns zurück.
Während ich die grässlichste Erkältung meines Lebens durchstand, mit Fieber, Hustenanfällen, Ohrenschmerzen, die mein Hirn in der Mitte spalten wollten, und grünem Schleim, der alle Öffnungen meines Schädels verstopfte, sandte der Redjeven das Handelsschiff mit den Sachsenfarben aus, um Verstärkung an den friesischen Küsten zu heuern. Seinem Ruf folgten zwei Luftschiffe und sicherlich achtzig Likedeeler, die Helgoland zudem mit Waffen und Nahrung aufstockten. Was vorher noch ein kleiner Vorposten aus freien Friesen und einigen desertierten Deutschen gewesen war, wurde nun zum Kriegsschauplatz. Ich jedoch wurde von einem alten Mann mit Brühe versorgt, während Dach und Dorf instandgesetzt wurden. Wenn ich aus dem Fieber hervorkam, nahm ich Sprachfetzen wahr, Eindrücke, manchmal kurze Gespräche, mal auf Deutsch, mal auf Friesisch. Ein gefangenes Besatzungsmitglied der vermeintlichen Sachsen hatte sich als Spion der Gräfin Elsbeð zu erkennen gegeben und übermittelte Neuigkeiten aus der schwimmenden Stadt. Der von mir gestohlene Brief hatte bei den Gewerkschaften für große Aufregung gesorgt, und es fiel Herzog von Pappelheim offensichtlich schwer, die Wogen zu glätten. Es war erneut zu Aufständen gekommen, erneut zu Streiks und Grausamkeiten, und wer es sich als Arbeiter leisten konnte, die Insel zu verlassen, zögerte nicht mehr.
Doch wie viele konnten das sein? Wie viele würden ihre ärmliche Existenz aufgeben können und sich in eine andere Hansestadt absetzen, wo doch nur Fremde und weitere Not warteten?
In des Redjevens Halle wurden Pläne geschmiedet und verworfen – verdienten es die Arbeiter, die nach Freiheit strebenden Gewerkschaften, die Hilfe der Friesen zu erhalten? Würde die Gräfin zu ihren Gunsten einschreiten, wenn es hart auf hart kam? Was bedeutete diese angekündigte Lösung der sozialen Frage , welcher nur noch eine Notwendigkeit vorausging: eine über lange Zeiträume hinweg funktionierende Batterie?
Von welchen Zeiträumen reden wir?
„Von Menschenleben oder länger?“, mutmaßte Ynge. „Überleg doch einmal.“
Ich sah den alten Mann, der wie stets an meinem Bett döste, streng an. „Glauben Sie nicht auch, mein Herr, dass Lösung bedeutet, dass er sie alle töten wird?“
Der Alte schüttelte sich und bedeutete mir dann, liegen zu bleiben. „Wee sach!“
„Er tötet sie, die aufmüpfigen Arbeiter, die er so gering schätzt, und dann macht er hirnlose Maschinen aus ihnen.“
„Wee sach, wee sach“, lächelte der Mann zahnlos und tupfte mir die schweißnasse Stirn ab. Ich sank wieder hinab in einen Schlummer.
Fosite wartete auf mich. Er war ein Puppenmann, adrett in Seemannsuniform gekleidet, ein Puppenjunge für Ynge.
Er stakste mit seinen seltsamen Puppenbewegungen vor mir her, und ich fragte mich, warum wir Menschen danach strebten, Automaten zu bauen, die uns ähnlich sahen. Hatte Gott es auch so gehalten, als er uns schuf nach seinem Bilde? Hatte auch er
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