Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Æmelies Stimme dabei zu hören, auch wenn sie schimpfte, machte mich schier wahnsinnig vor Liebe und Schmerz und Lust. „Ja, schimpf mit mir!“, murmelte ich.
„Oh, du böser Junge, du fickst mich ganz schön hart“, sagte die Hure.
„Du doch nicht!“, schalt ich und hielt in der Bewegung inne. „Sei still!“
Beleidigt blickte mich die Hure an, und ich dachte kurz, sie würde von mir heruntersteigen, doch dann fuhr sie einfach schweigend fort.
„Naðan, bitte!“, sagte Æmelie flehentlich, und ich erfüllte ihre Bitte und gab ihr alles, was ich ihr zu geben hatte.
Die Hure hingegen gab sich mit den ausgemachten fünf Mark zufrieden, während die Schreie und Schüsse draußen verebbten.
„Wie konntest du das tun?“, schluchzte Ynge. Æmelie.
„Ich … ich weiß auch nicht. Bitte, nimm es mir nicht übel. Ich liebe nur dich! Aber ich kann ja nicht mehr … wir können ja nicht mehr …“
„Wir müssen uns doch nicht körperlich lieben!“, sagte die Puppe vorwurfsvoll. „Eine platonische Liebe kann doch auch innig sein – inniger gar als eine … als so was!“
„Das … es war ja auch keine Liebe, meine Liebste! Es war einfach nur … es war wie ein Essen oder ein Schluck heißer Tee, nachdem man in der Kälte war! Ich … ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht wie du!“
Sie gab keine Antwort.
„Ich verspreche dir, ich tu’s nicht wieder! Bitte, du bist doch meine Frau! Ich liebe dich doch, wirklich!“
Doch sie sprach nicht mehr mit mir, und ich wiegte die eingeschnappte Puppe und mich in den Schlaf.
Æstas Arbeiterviertel jagte mir so manches Mal einen Schauer über den Rücken und ließ mich wünschen, ich wäre, wie es meinem Stand entspräche, auf dem schwimmenden Ausläufer, auf dem sich das Herzogsschloss und die Häuser der Wohlhabenden erhoben. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte, und so begann ich, nach dem Friedhof zu suchen, in welchem die Toten, von Eis ummantelt, bewahrt wurden. Er musste in der Nähe des Spitals sein, doch diese Gegend wurde stets von Wachmännern und auch Polizisten beäugt, und sie schätzten es nicht, einen dort aufzugreifen.
War es, weil dort Leichen geraubt worden waren? War es, weil irgendetwas im oder ums Spital besonders gut bewacht werden musste?
Ich hatte mich danach erkundigt, und eine Frau, die mit Kohlehusten zur Ruhe gesetzt worden war und seither von der Wohltätigkeit der Gewerkschaften lebte, erzählte mir mit viel Gekeuch, dass es sich bei dem Turm um eine Anstalt handelte – sowohl für körperlich als auch für seelisch Kranke, für geistig Verwirrte und durch lange Einsamkeit oder Katastrophen bei der Rohstoffgewinnung oder Unfällen in den Fabriken Traumatisierte. Sie selbst war bereits für eine längere Zeit dort gewesen, doch darüber wollte sie kein Wort verlieren.
„Gibt es einen Grund, weswegen sie es so bewachen? Gibt es einen … Insassen, der gefährlich ist? Einen Mörder vielleicht oder einen verrückten Wissenschaftler, der lebende Leichname, Automaten aus Menschen gebaut hat?“
Sie hatte mich mit großen Augen angestarrt und dann langsam den Kopf geschüttelt. „Das weiß ich nicht. Aber in den hohen Türmen stecken meist oben auch noch Messgeräte drin. Wer weiß, was im Spital drin ist!“
Ich wusste es jedenfalls auch nicht und beschloss, mich dem nächsten Leichenzug anzuschließen, um auf den Friedhof zu gelangen. Ich musste nicht lange warten.
Ein Krieg tobte auf Æsta, und ich versuchte bereits, seit ich diesen bemerkt hatte, meinen Kopf unten zu halten. Ich wusste nicht genau, worum es ging, doch die Fronten waren klar: Die reichen Fabrikbesitzer, die Adligen und der Herzog auf der einen Seite, die streikenden Arbeiter und die Gewerkschaften auf der anderen. Zudem wurde gemunkelt, dass die friesischen Piraten und die Vlamen mit Kaperbriefen die Lüfte kreuzten und auf beiden Seiten ihre Finger im Spiel hatten.
„Es ist ein Mörder unterwegs“, flüsterte die blonde Hure, deren Namen ich immer noch nicht kannte, mir im Flur zu. „Ich bin mir ganz sicher, Naðan – hier ist grade kein guter Ort. Sie ermorden Leute, die zu frech werden. Die mit den Streiks zu tun haben! Sie haben sogar Susi ermordet, nur weil sie Ollis Liebling war!“
„Susi?“, stutzte ich. „Die … wohnte sie nicht …“
„Ja, hier gegenüber. Sie war meine Freundin!“
Immerhin hatte ich nun die Gelegenheit gefunden, einem Leichenzug zu folgen.
„Das ist ja schrecklich!“, rief ich aus. „Wie
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