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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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zusammen.
    „Tut mir leid, wenn ich Sie heute nur erschrecke. Auch mit den Shellys“, sagte ich und lächelte. Sie lächelte dankbar zurück, und ich musste sie gleichzeitig bezaubernd finden und an die Huren denken.
    „Glauben Sie daran? An … Shellys?“, flüsterte sie. In der Kälte begann sie sofort zu schlottern.
    „Ich habe einen gesehen. Mit eigenen Augen.“
    Sie erbleichte. „Ich will Ihnen nur sagen: Es … es verschwinden … es gibt ...“
    „Ja?“
    Tränen blinkten in ihren Augen. „Meine Schwester ist an Schwindsucht gestorben. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, und … und ihre Leiche ist … sie ist verschwunden.“
    „Wo befand sich die Leiche?“, fragte ich, nun wieder ganz mit kriminalistischem Instinkt.
    „Schon im Eis.“
    „Im Eis?“
    „Ja, man friert die Toten im Eis ein, und wenn es sich ergibt, werden sie irgendwann dem Land überantwortet und da in einem Kirchgarten beerdigt. Wir könnten sie ja nicht einfach … irgendwohin …“ Sie begann zu weinen. Ich berührte sie ganz leicht an der Schulter.
    „Es tut mir leid – und Ihre Schwester ist … sie ist fort?“
    „Ja – das Loch ist wieder zugefroren, jemand muss es mit Wasser begossen haben. Aber sie ist … sie ist fort, man konnte sie nämlich vorher noch sehen, sie war in ein Tuch gewickelt, aber als ich das letzte Mal hinging, um ihr eine Papierblume hinzulegen – da war dort nichts mehr.“
    Sie schluchzte nun haltlos, und ich wiederholte meine Berührung.
    „Nun haben Sie Angst, dass ich recht habe mit meinen … unbedachten Äußerungen?“
    Sie nickte schniefend. „Warum entwendet jemand Leichen?“
    „Naja, es gibt noch andere Möglichkeiten, außer Shellys aus ihnen bauen zu wollen. Für die Wissenschaft – und die Medizin – werden laufend Leichen benötigt.“
    Sie sah aus, als müsse sie sich übergeben. Wir starrten einander wortlos an. Ich wünschte, ich hätte etwas sagen können wie: „Keine Sorge, ich werde den Leichnam Ihrer Schwester zurückholen!“ Aber das sagte ich nicht, denn es wäre grober Unfug gewesen. In Æsta wohnten sicher fünfundzwanzigtausend Menschen, das hatte Temmhort jedenfalls gesagt. Wie sollte es mir da gelingen, eine Tote aufzutreiben, die nicht meine Frau war?
    „Wenn ich etwas herausfinde, werde ich es Ihnen sagen“, fand ich einen Kompromiss. Sie nickte und schlüpfte grußlos wieder in die Gastwirtschaft.
    Plötzlich krachte ein Stein neben mir gegen die Mauer und ließ mich ahnen, dass ich für meine Recherchen würde bezahlen müssen. Ich zuckte zusammen, und noch während ich die Gefahr zu erfassen versuchte, gab es Geschrei, und zwei Gendarmen stürmten an mir vorbei, gefolgt von drei schwarzgekleideten Soldaten, offenbar Haustruppen des Herzogs von Pappelheim. Einer davon packte mich am Arm und stieß mich grob in einen Winkel, in dem zwei Kinder gespielt hatten, die nun auch schrien. Der Größere schlug blindlings auf mich ein, doch ich zog ihn und seine schmuddelige Spielkameradin zu Boden, während auf der Straße Schüsse donnerten und weitere Steine flogen.
    Beide Kinder begannen unisono zu weinen, und unweit unserer Straßenecke rissen die Ordnungshüter einen jungen Mann zu Boden und droschen so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr regte. Ich wusste mir nicht zu helfen und ließ die Kinder einfach zusehen. Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Der Mann blieb mit eingeschlagenem Schädel liegen, sein Schal war so rot wie das Blut, das eine Lache um seine Schläfen bildete. Mit dem einschnürenden Gefühl, dass Æmelie nicht die letzte Tote auf Æstas Liste war, brachte ich die Kinder in die Wirtschaft, in der ich eben noch das Essen zu mir genommen hatte, das mir nun so schwer im Magen lag.

Eine Hure

    Fresko
    Z wei Nächte später gab es wieder Ärger. In dem Viertel, in dem ich mein Zimmer für solch einen Spottpreis hatte mieten können, gab es häufiger Unruhen als Eintracht. Es gab Streiks bei den Hafenarbeitern, es gab Messerstechereien und Raubüberfälle, es gab plötzliche Proteste, und es gab Schreie, die nicht von Lust, sondern von Gewalt zeugten, aus den Zimmern unter mir. Diesmal schien alles auf einmal eingetreten zu sein. Fußgetrappel, Rufe, ein langgezogener qualvoller Schrei auf der Straße, der irgendwann verendete, Schüsse am Hafen. Ich drehte meinen Schlüssel im Schloss herum – keine Sekunde später knarrten beinahe lautlose Schritte auf der Treppe und die Klinke wurde heruntergedrückt.
    „Bitte!“,

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