Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
willst du mal testen, für Nachbarn nur die Hälfte!“
Ich hustete und knetete in den Taschen meine eisigen Finger.
„Nein, danke“, murmelte ich errötend.
„Ach, der ist niedlich!“, rief die Blonde in Unterwäsche. „So schüchtern. Da muss man sich doch für nichts schämen, mein Schatz, wir sind doch alle bloß Menschen!“
Ich eilte an ihnen vorbei, wenngleich sich bei dem Anblick etwas unschön in meiner Hose geregt hatte. Noch nie hatte ich eine Frau in solcher Unterwäsche gesehen, mit so vielen nackten Stellen dazwischen. Natürlich hatte ich Æmelie schon nackt gesehen – einmal, als sie aus dem Bad gekommen war. Doch im Bett hatte sie, wie es sich geziemte, ein Nachthemd getragen und nicht solche … Bekleidung. Ein Gutes hatte es jedoch: Zumindest im Gesicht fühlte ich mich gleich viel wärmer.
Ich suchte mir erneut eine günstige Wirtschaft und aß Labskaus mit sauren Gurken und püriertem Fleisch. Es schmeckte grauenhaft, füllte jedoch den Magen.
„Sagen Sie“, fragte ich die Bedienung, ein scheues Mädchen, das sich von den Matrosen allerlei Anzüglichkeiten gefallen lassen musste, „wo finde ich die Firma Hoesch?“
„Sie haben mehrere Werke. Die Familie ist eine der einflussreichsten der Stadt, und sie haben ganz viele Hallen und so.“
Vom Nebentisch lehnte sich ein älterer Herr zu mir herüber, der mich vage an die bürokratische Gelehrsamkeit Herrn Temmhorts erinnerte. „Sie wollen sich dafür stark machen, dass Æsta autark wird.“
„Autark?“, wiederholte ich, und er schien anzunehmen, das Wort sei mir nicht bekannt und erläuterte es.
„Ich weiß, was das heißt – aber wie kann die Stadt autark werden? Ist sie nicht dazu da, Rohstoffe zu erschließen? Für das Kaiserreich?“
„Mit den Überschüssen werden wir auch weiterhin handeln, keine Frage. Aber Hoesch will sich nicht auf Rohstoffe beschränken. Technik! Dampfmaschinen! Apparaturen! Wer weiß, vielleicht gelingt ihm eines Tages sogar eine Art Landwirtschaft.“
„Das bezweifle ich. Vermutlich erst, wenn die nördlichen Länder wieder auftauen, und das tun sie erst, wenn die Vulkane auf Eisland aufhören, Feuer zu spucken, oder?“
„Ja?“, fragte die Bedienung in einem Versuch, sich weiterhin am Gespräch zu beteiligen.
„Hier gibt es unermessliche Vorkommen an Gas, Kohle – auch Öl werden wir in Kürze fördern. Dann können wir vielleicht sogar Felder beheizen!“, lächelte der ältere Herr.
„Gehören Sie dieser Familie an?“, fragte ich misstrauisch.
„Nein, aber ich arbeite für Hoesch. Viele hier tun das.“
„Ah, gut.“
„Nicht, Naðan!“, bat Ynge, doch ich ließ mich nicht abbringen.
„Dann wissen Sie ja vielleicht, ob Herr Hoesch an … Shellys forschen lässt.“
Die Bedienung ließ meinen geleerten Teller fallen. Es krachte, und Tonscherben schlitterten über die Steinfliesen. Einen Atemzug lang starrte sie mich noch an, dann bückte sie sich, um die Scherben aufzuheben.
Der Mann lachte nur. „Shellys sind ein Märchen, mein Herr, und was für Schauermärchen man sich auch auf dem Festland erzählt, wo Sie offenkundig herkommen – auf Æsta werden keine Shellys gefertigt! Was für eine abstruse Annahme!“
„Gut. Dann kann ich mir ja einen Besuch in der Firma sparen, da der Herr so nett war und mir diese Information gegeben hat“, sagte ich halb zu Ynge, halb zu ihm.
„Er könnte lügen!“, piepste Ynge verängstigt.
„Er kommt mir nicht vor wie ein Lügner.“
„Bitte? Sprechen Sie da mit einer … Puppe?“, empörte sich der Herr, und tatsächlich war er der Erste, den diese Tatsache aufbrachte. Vielleicht, weil Ynge ihn einen Lügner genannt hatte. Eilig steckte ich sie in die Tasche.
„Entschuldigen Sie. Das war taktlos. Sie spricht noch nicht lange, müssen Sie wissen, und ist die gängigen Umgangsformen noch nicht gewöhnt.“
Irgendwann wurde mir das Starren der anderen Leute in der Wirtschaft zu unangenehm, und ich ging wieder nach draußen.
Die Tage waren sehr kurz, und die Kälte war noch wesentlich grausamer als zu Hause. Ich wünschte mich nach Venedig zurück. Ich wünschte mich zu Æmelie zurück.
Nachdenklich lehnte ich mich gegen die Fassade des Hauses und sah in den Himmel, gespannt, ob ihn auch bei Tage diese elektrischen Lichter zum Tanzen bringen würden.
Neben mir öffnete sich die Tür, und die Bedienung trat heraus. Suchend wanderte ihr Blick die Straße hinauf – als sie mich dann so nah neben sich erblickte, schrak sie
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