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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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darüber nachgedacht, den Körper … der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen? Dann wäre eine Beerdigung zwar erst anschließend möglich, aber Ihnen würde ein nicht unansehnlicher Betrag gezahlt.“
    „Hab ich Ihnen nicht schon gesagt, was Sie mich können? Wissen Sie nicht, dass schon einer hier war? Ansehnlicher Betrag, die paar Kröten! Scheren Sie sich zum Teufel, Sie widerwärtiger Kerl!“
    „Darf ich noch fragen, wer mir so unanständig zuvorgekommen ist?“
    „Gar nix dürfense! Blutsauger, alle miteinander! Pack! Teufelspack!“ Die Witwe spuckte Gift und Galle, und ich verzog mich rasch aus ihrer winzigen Bruchbude, bevor der Funken auf die traurig-schmutzigen Arbeiter überspringen konnte, die ebenfalls kondolieren wollten.
    „Ein Held war er! Ein Held!“, rief mir noch jemand faustschüttelnd nach, als ich auf die Straße trat.
    „Nun, Ynge. Da sag noch mal, ich würde nicht weiterkommen. Es werden Leichen benötigt auf Æsta, und zwar nicht zu knapp!“
    Zurück im düsteren Flur meiner Vermieterin schnappte ich Gesprächsfetzen auf.
    „… nicht mehr auf die Straße! Liese hat auch gesagt, da geht was vor sich! Ich will da nicht dazwischen geraten.“
    Madames sonore Stimme schaltete sich ein: „Du kannst auch unten arbeiten, im Salon.“
    Ich rümpfte die Nase. Der Salon war die euphemistische Bezeichnung für ihre Opiumhöhle und den plüschigen Vorraum.
    „Bei den Chinesinnen? Den Schlitzaugen vertrau ich nicht!“, empörte sich meine blonde Hure.
    „Tja. Dann kannst du ja noch auf deinen guten Ruf vertrauen, dass die Freier von selbst den Weg in dein Zimmer finden, Liebes.“
    „Ich dachte, du weißt vielleicht was. Woanders. Du kennst doch so viele Leute! Vielleicht komm ich ja woanders unter!“
    „Na, Lotte, du wirst mir doch nicht den Rücken kehren wollen! Wir waren doch ein gutes Gespann, oder nicht, mein Pferdchen?“
    Wie immer, wenn ich derartige Anspielungen, die Stimme oder die nackte Haut der Huren wahrnahm, spielten in mir Ekel und Begierde miteinander wie zwei neckische Katzen.
    Ich hätte es Ynge niemals erklären können, hätte ich mich wieder mit … Lotte eingelassen . Andererseits schlief ich selten ein, ohne vorher noch einmal die Bilder Revue passieren zu lassen, den rosigen Nippel, der aus ihrem Korsett gerutscht war – ihr rotbemalter Mund, der sich um meinen … also, jedenfalls musste ich häufig daran denken. An die schrecklichen Gelüste, die sie zuerst hervorgerufen und dann befriedigt hatte. Das Dumme war nun, dass die Gelüste stets wiederkehrten, und ich nicht mehr in den paradiesisch-unwissenden Zustand zurückkehren konnte.
    „Ja, du hast recht“, bestätigte Lotte meine Gedanken. „Ich bleibe hier, und wenn du jemanden für mich unten im Salon hast …“
    „Ich guck mal, was ich für dich tun kann, Kindchen.“ Die Madame küsste Lotte mit einem feuchten Geräusch, und ich verzog mich eilig die Stiege hinauf, an weitere feuchte Geräusche denkend.
    Ynges Blick war vernichtend, als ich wieder in meine Kammer trat. In den Eisblumen auf meinem Fenster verteilte sich das Licht der untergehenden Sonne und brach sich in abertausend Splitter.
    „Du kannst doch sicher keine Gedanken lesen?“, fragte ich unnötigerweise. „Und nun musst du mir doch zugestehen, dass ich heute erfolgreich war. Es gibt da einen Herrn, der im Auftrag von irgendwem – vermutlich diesem Hoesch – Leichen für die Wissenschaft besorgt. Es ist vielleicht der gleiche, der auch den Shelly am Hafen abgeholt hat. Aber wie finde ich jetzt heraus, wer es ist? Gehe ich noch einmal zur Witwe?“
    Ich wickelte das Wurstbrot aus, das ich zum Abendbrot erstanden hatte. Es schmeckte etwas muffig, doch das konnte auch an der Kammer, dem blakenden Ofen oder dem abgestandenen Wasser liegen. Die Münzen in meiner Tasche wurden erneut weniger. Ich musste essen. Ich musste Madame für ihre Gastfreundschaft bezahlen, sie beschwerte sich ohnehin schon, ich würde zu viele Briketts verheizen.
    Außerdem konnte ich mir bei den hier herrschenden unmenschlichen Temperaturen keine durchgelaufenen Schuhe leisten – ich würde sehr bald einen Schuster aufsuchen müssen. Seufzend betrachtete ich das Ölgemälde mit dem weißen Fleck anstelle von Æmelies Gesicht. Ich würde nichts weiter verkaufen können, und es würde kein Geld mehr geben.
    Seufzend legte ich mir einen auf dem Ofen erhitzten Backstein auf die löchrige Matratze und schlüpfte unter die Decke. Ich legte Ynge neben mich und

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