Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Brandsatz explodieren konnte. Die Luftschiffe verschwanden hinter dem Giebel, und ich lehnte mich abermals halsbrecherisch durch das morsche Fenster. Unter und neben mir öffneten sich weitere Fenster, eine Frau schrie, und ich sah, dass das nur etwa fünfzehn Meter entfernte Dach, auf dem der Sprengsatz gelandet war, Feuer gefangen hatte. „Feuerwehr! Feuerwehr!“
Das weiße Luftschiff verlangsamte sein Tempo, drehte sich in einer Verzweiflungstat mit der Breitseite zum schwarzen, als der in die Öffnung geworfene Brandsatz mit Verzögerung in die Luft ging. Der ersten, kleineren Explosion folgte die Entzündung von Gas, eine größere Explosion zerriss die erste Kammer der Gashülle, zerfetzte die zweite, und das Ganze setzte sich unter Entsetzensschreien unaufhaltsam fort.
„Feuer! Es stürzt ab! Feuerwehr!“ Die Rufe der fassungslosen Zuschauer und die Explosionen der Gaskammern steigerten sich zu einer wahren Kakophonie. Ich konnte das weiße Schiff nicht mehr sehen, doch der Feuerschein gloste über den Himmel. Ich hielt die Luft an, glaubte vor dem Hintergrund der Flammen zu sehen, wie Männer sich springend ins Meer retten wollten, wie sie den Abgrund zum feindlichen Schiff zu überspringen versuchten, wie sie Seile mit Haken daran schwangen, um sich zu retten.
„Sie müssten fliegen!“, sagte Ynge traurig, denn wir wussten beide, dass sie es ebenso wenig konnten wie wir.
„Chaos. Chaos aller Orten“, seufzte Madame mit ihrem breiten russischen Akzent, den sie als italienischen zu tarnen versuchte. Sie war eine Frau, die auch gut ein verkleideter Mann sein konnte. Haar spross um ihre Lippen herum, die wiederum so stark geschminkt waren, dass sich zusammen mit den künstlichen Wimpern beinahe das groteske Bild eines Transvestiten ergab. Doch dem widersprachen die gewaltigen Brüste, die sie in ein höchst unanständiges Korsett gepresst hatte, und die wie geknechtete Berge daraus emporquollen.
Normalerweise frühstückte ich nicht mit Madame, doch diesmal hatte sich das ganze Haus in ihrem dunkelplüschigen Salon versammelt, um die Geschehnisse des frühen Morgens zu besprechen. So saß ich nun also dort, umgeben von Huren, chinesischen Opiumkellnerinnen und einigen menschlichen Überresten der nächtlichen Orgie mit selbiger Droge.
Meine Lotte fütterte einen davon, einen sabbernden Idioten, mit Haferbrei. Er betastete ihre Brüste mit einem Lächeln wie ein gesäugtes Kleinkind. Ich wandte mich angewidert ab.
„Was ist … was ist der Grund für diesen Kampf gewesen?“
„Ach, das weiß ich nicht, mein kleiner Mann“, schnurrte Madame bedrohlich. „Zumindest nicht den Grund für genau diesen Kampf. Aber dass es zwischen dem Herzog und der Gräfin Elsbeð eine Fehde gibt, weiß jedermann auf Æsta.“
„Ich denke“, ließ sich ein vornehm gekleideter Opiumsüchtiger vernehmen und trank appetitlos seinen Tee, „dass sie erneut Dinge exportieren wollte, die der Herzog lieber hier sähe. Sie ist sehr kaisertreu, die gute Elsbeð, und würde den Herzog als Kanzler der Stadt lieber heute als morgen ablösen. Um alles wieder auf einen geraden Weg zu bringen. Die unter der Hand geplante Separation Æstas muss ihr ein Graus sein.“
„Hat das denn etwas mit den Streiks zu tun und den Morden?“, fragte ich, abwägend, ob diese Erkenntnis der städtischen Intrigen mich dem Rätsel um den Verbleib der Leiche meiner geliebten Frau näher brachte.
Die Anwesenden sahen mich an und zuckten dann beinahe einvernehmlich mit den Schultern.
„Also, ob Frau Elsbeð eine andere Position zu den Streiks bezieht als Herzog von Pappelheim, das weiß ich nicht. Ohne billige Arbeitskräfte geht es nicht“, gab der vornehme Herr von sich und tupfte sich eine Stelle am Handrücken ab. „Aber dieser Luftkampf – das war schon wahrhaftig eine Eskalation! So weit haben die beiden es noch nie getrieben. Man sagt, sie hatten sogar einmal heiraten wollen, und nun fechten sie auch ohne das einen wahren Rosenkrieg aus!“ Er lachte und gähnte gleich darauf. Sein Leben musste furchtbar langweilig sein. Lotte rutschte vom Schoß ihres Freiers herunter, der eingeschlafen war, und glitt neben dem Mann auf einen Stuhl, über dessen Lehne sein feiner grauer Gehrock hing. Offenkundig war mein Hürchen nun in Madames Opiumhöhle sehr geschäftstüchtig – und ich hatte noch Leib und Leben riskiert, um sie draußen zu bewachen, damit ihr kein Leid geschähe! Dieses wankelmütige Weib!
„Du hast sie bewacht, um den
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