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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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schnupperte an ihrem Kleidchen. Auch sie roch nicht mehr so gut wie früher.
    „Ich wünschte, wir könnten baden. Unsere Kleider waschen.“
    Seit meiner Ankunft hier war ich viel zu selten meinem Bedürfnis nach Sauberkeit nachgegangen.
    „Ynge, antworte doch mal! Ich tue doch was! Ich glaube, wir kommen wirklich weiter! Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis wir sie finden!“
    Ich ärgerte mich darüber, so überstürzt aus Venedig abgereist zu sein – ich hatte nicht einmal mehr einen Blick auf die Gästeliste des Kongresses geworfen. Diese hätte mir vielleicht verraten, ob sich ein gewisser Herr Hoesch aus Æsta dort befunden hatte. Vielleicht hätte ich auch am Flughafen erfragen können, ob dort ein privates Luftschiff aus der schwimmenden Stadt vor Anker gelegen hatte – denn anders konnte er seine Shellys kaum transportiert haben. Überhaupt – das Risiko, sie in Venedig herumlaufen zu lassen! Aber hatte dieser Mensch am Hafen nicht wie jemand gewirkt, der sich nichts sehnlicher wünschte, als die Kreaturen, die er schuf, in ihrem Tun bewundern zu können? Würde so jemand es nicht wagen, sie auszutesten, zudem in einer Stadt, die diplomatisch ohnehin etwas isoliert war? Doch diese Überlegungen waren nun müßig. Venedig hätte ebenso gut auf dem Mond liegen können.
    Als ich einschlief, tat es das auch.
    Venedig bettete sich in das weiße Gestein des Mondes ein, die Gondolieri stakten ihre Gondeln durch den schimmernden Æther. Es war sehr kalt.
    „Wirklich schön“, sagte ich zu Æmelie, die in ihrer durchsichtigen Anmut neben mir stand. Sie war nackt bis auf den Zylinder auf ihrem Kopf, ihre Brustwarzen waren in der Kälte steif aufgerichtet, und ich zwang mich, ihr ins Gesicht zu blicken.
    Es war das erste Mal, dass ich von ihr träumte, seit sie tot war. Und dann war sie ausgerechnet nackt – was würde Ynge dazu sagen?
    „Ich bin das Bild deiner Begierden, Naðan“, sagte Æmelie vorwurfsvoll, als könne ich etwas dafür. Ich zog meinen Mantel aus und breitete ihn um ihre Schultern – oder vielmehr versuchte ich es, doch es ging nicht, der Mantel glitt immer wieder herab, und als ich mich vergeblich abmühte, ertastete ich etwas, das aus ihrem Rücken herausragte.
    „Was ist das, meine Liebste?“, fragte ich mit bebender Stimme. Sie drehte sich herum und blickte dabei über ihre Schulter. „Das sind meine Flügel.“
    „Bist du ein Engel?“, fragte ich, ihre Flügel betrachtend. Es waren wunderbare Flügel, aus Holz und Bronze und Stahl und Leinen und mit einem leisen Sirren entfalteten sie sich zu ihrer gigantischen Größe – sie ragten weit über unsere Köpfe hinweg auf, das Tuch spannte sich im Æther, der leise blitzend darauf spielte.
    „Ich bin kein Engel. Ich bin nichts mehr. Nur die Stimme einer Puppe.“
    „Das stimmt nicht, meine wunderschöne Æmelie! Sieh, du kannst fliegen!“
    „Es ist ein Traum. Ich habe diese Flügel geträumt, weißt du noch? Ich habe sie gezeichnet.“
    Ja, ich erinnerte mich daran. Fluggeräte waren ihre verspielte Leidenschaft gewesen – vielleicht hätten wir einst die Welt damit umrundet, hätten bewiesen, dass es einen Weg über den Atlantik gibt. Tränen bahnten sich ihren Weg. „Æmelie, du hättest nicht sterben sollen! Wärst du doch nur aus dem Fenster gesprungen – das Eis ist nicht gebrochen! Wären wir gemeinsam hinausgesprungen, Hand in Hand – dann könnten wir jetzt fliegen. Was soll ich nur ohne dich tun?“
    „Flieg trotzdem.“ Sie hatte die Flügel ausgezogen, obgleich sie doch eben noch ihrem eigenen Fleisch entsprungen waren. Mit ledernen Riemen schnallte sie sie auf meinen Rücken – sie waren schwerer, als ich angenommen hatte, und ich bezweifelte, dass ich damit würde fliegen können. Als sie die Riemen auf meiner Brust richtete, umschlang ich ihren kalten Körper mit meinen Armen und legte schluchzend mein Gesicht an ihren Hals. Sie hielt inne in ihrem Tun und streichelte mein Gesicht.
    „Du musst fliegen.“
    „Ich vermisse dich so sehr. Ich kann nicht leben ohne dich.“
    Sie legte mir ihre Hände auf die Wangen und sah mich streng an. „Das habe ich mir gedacht“, sagte sie. „Aber du wirst ohne mich leben. Du bist es mir schuldig.“
    „Sehen wir uns wieder?“
    Nun traten auch in ihre Augen Tränen – meine Hilflosigkeit musste sie rühren, ich war wie ein kleines Kind. „Ich weiß es nicht. Ich vermisse dich auch. Naðan …“
    Ein Schuss erklang, und sie glitt aus meiner Umarmung. Wir

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