Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
mit den Schultern. »Versteh einer, was Ganesen tun.«
Zum Abschluss ihrer Behandlung strich Ischáh sanft über die verletzte Stelle der Stelzwurzel, drehte sich dann um, lief zu Taramis hinüber und kniete sich neben ihm, gegenüber von Jagur, ins Gras. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn, streichelte flüchtig die Wange und lächelte: eine zufriedene Heilerin.
»Ich glaube, du hast noch mal Glück gehabt.« Das geheimnisvolle Funkeln in ihren eisblauen Augen schien nur er zu bemerken. Vermutlich wusste außer ihnen beiden niemand von dem Vorfall der letzten Nacht.
Taramis richtete sich zum Sitzen auf. Es ging einigermaßen, wenngleich er einen unangenehmen Druck im Brustkorb fühlte. Unwillkürlich verzog er das Gesicht.
»Das geht vorbei«, sagte Ischáh. »Wahrscheinlich wird nur das Mal bleiben.«
Er blickte an sich herab. Sein moosgrünes Wams war aufgeknöpft, das lindgrüne Hemd darunter ebenfalls. Als er es von seiner Brust wegzog und nach unten schielte, entdeckte er einen violettroten, linsenförmigen Fleck über dem Herzen. Ähnliche Feuermale hatte er auch schon früher gesehen, bei den Ganesen und Tempelwächtern, die seinerzeit den Amoklauf Gaals überlebt hatten. »Wie seid Ihr hierhergekommen?«
»Also geflogen, so wie dieser Seelenfresser, sind wir jedenfalls nicht«, erklärte Jagur. Obwohl man sich gegenseitig belauerte, berichtete er weiter, habe sich die Gemeinschaft förmlich in Luft aufgelöst. Erst hätten die Schatten Ischáh verschluckt. Als kurz darauf auch noch der Donnerreiter verschwand, sei gerade eine etwa schwanengroße Schwallechse zwischen den Bäumen in den Nachthimmel aufgestiegen, wahrscheinlich ein Nakilep. Der Kirrie schnaubte. »Almin, Reibun und ich wussten gleich, dass da was faul ist.«
»Ich hab Bohan von Anfang an nicht über den Weg getraut«, behauptete der Hakkorer.
»Sicher konnten wir uns aber nicht sein«, sagte Jagur. »Um dich nicht ins Verderben laufen zu lassen, sind wir dir gefolgt und haben dich hier gefunden. Na ja, eigentlich hast du das Ischáh zu verdanken. Auf sie sind wir kurz nach unserem Aufbruch gestoßen. Sie hat die Pflanzen befragt und uns zu dir geführt. Wir sahen erst dich, dann Bohans Schwert im Baum und dachten: Das war’s.«
Taramis nickte. »Danke. Euch allen vieren. Ihr habt mir das Leben gerettet.«
Aus Jagurs oberem Rachenbereich kam ein undefinierbares Grummeln. »Ich will den erhabenen Augenblick ja nicht schmälern – aber wo ist eigentlich deine Holzkrone?«
»Bochim hat sie mir gestohlen.« Taramis erzählte, wie ihn der Seelenfresser überwältigt hatte, um den Reif der Erkenntnis seinem Vater Gaal auszuliefern. Es stehe zu befürchten, dass er damit bereits auf dem Weg nach Peor sei. »Was wirst du nun tun, Jagur?«, fragte Taramis anschließend. »Gehorchst du dem Befehl deines Königs und verlässt mich mit dem Drachenhemd oder hörst du auf die Stimme deines Herzens?«
Der Gefragte richtete sich zu seiner ganzen unerheblichen Größe auf, drückte das Kreuz durch und sagte unwirsch: »Dass du mich überhaupt danach fragst!«
Taramis schluckte. Der Kleine hatte ihm schon vor zwölf Jahren eine Abfuhr erteilt. Von seiner sturköpfigen Prinzipientreue waren alle vernünftigen Argumente abgeprallt wie Pfeile vom Hemd der Unverwundbarkeit.
»Was guckst du so bedripst aus der Wäsche?«, knurrte Jagur. »Meinst du, ich lasse dich im Stich?«
»Was?« Taramis blinzelte irritiert.
»Bei meiner Axt, du bist der begriffsstutzigste Held, der mir jemals untergekommen ist. Damals, in Dunis, da habe ich dich abblitzen lassen, weil du mich zum Verräter an den Kirries machen wolltest. Inzwischen sind wir alle Opfer eines feigen Verrats geworden.«
»Und was ist mit deinem König? Du bist sein Sonderbeauftragter für die Beschaffung des …«
»Jetzt hör mir doch damit auf, Taramis«, fiel ihm Jagur ins Wort. »Den Floh hat Bochim ihm ins Ohr gesetzt. Jarmuth glaubt, mithilfe des Erkenntnisreifs könnte er uns aus dem Jammertal herausführen. Dabei ist unser Problem eher die Suppe.«
»Welche Suppe denn?«
»Die wir uns mit der jahrhundertelangen Freibeuterei eingebrockt haben. Wir sind zum Fluch des Ätherischen Meeres geworden. Außer den Dagonisiern will keiner was mit uns zu tun haben. Wer eben immer nur an sich selbst denkt, an den denkt bald niemand mehr.«
»Dann lässt du mir also das Hemd Leviat? Ich darf es als Köder für Og benutzen?«
»Wir können’s ihm nachher ja wieder abluchsen.« Jagur
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