Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
sich kaum in einen Käfer verwandelt haben. Taramis widmete seine Aufmerksamkeit wieder ganz dem eigenen Seelenbaum.
Es war ein stolzes Gewächs. Gerade und hoch ragte der mächtige Stamm in den Nachthimmel auf. Die Stelzen glichen starken Säulen. Taramis meinte in der fasrigen Rinde einen rötlichen Schimmer zu erahnen (was bei den herrschenden Lichtverhältnissen vermutlich pure Einbildung war). Von den Stelzwurzeln abgesehen, ähnelte der Seelenbaum jedenfalls einer Zeder; somit gehörte er wie der seines Sohnes zu den Nadelhölzern. Der Anblick erfüllte Taramis mit einem Gefühl des Friedens und der Ruhe, wie mancher Pilger es am Ziel seiner Reise empfinden mochte. Er machte ihm Mut. Nun konnte er es auch mit Og und Eglon aufnehmen …
Abermals merkte er auf, als ihn ein ungewöhnliches Geräusch aufstörte. Plötzlich spürte er Gefahr – die Zeridianer-Instinkte waren sensibler als die anderer Menschen. Er duckte sich. Etwas fauchte über ihn hinweg …
Und traf seinen Seelenbaum.
Taramis fühlte ein mörderisches Stechen im Herzen. Schlagartig blieb ihm die Luft weg. Ihm wurde schwindelig. Er versuchte sich trotzdem aufzurichten. Als er den Blick zum Wurzelwerk seines Baumes hob, entdeckte er ein Langschwert in einer der Stelzen. Es zitterte von der Wucht, mit der es sich ins Holz gebohrt hatte. Die Schmerzen übermannten ihn, er kippte nach vorn, wankte kurz auf allen vieren und sank dann seitwärts um.
Als sein Ohr dem Boden ganz nahe war, hörte er Schritte. Er rang nach Luft, röchelte, kämpfte sich auf den Rücken herum. Noch hielt er den Feuerstab fest und war nicht völlig …
Ein läppischer Fußtritt schlug ihm Ez aus der Hand.
Über ihm erschien der Schattenriss eines Mannes.
»Bohan«, ächzte Taramis. »Warum …?« Sein Herz brannte, als sei es nur ein Klumpen glühender Kohle.
Der Donnerreiter bückte sich und hob den hölzernen Ring auf, der Taramis vom Haupt gerutscht war. »Nur dafür«, antwortete er.
Auf einmal veränderte sich Bohans Aussehen. Seine ohnehin schemenhafte Gestalt schien zu verschwimmen. Alles an ihm, auch die Kleidung, war von der Verwandlung betroffen. Er wuchs in die Höhe und wurde breiter. Als es aufgehört hatte, setzte sich Bochim den Reif der Erkenntnis auf den Feuerfischkopf und blickte zum Mond empor, als wolle er ihm für seinen Triumph huldigen.
Unter großer Anstrengung und noch größeren Schmerzen gelang es Taramis, neue Luft in die Lungen zu pumpen. Sein Brustkorb schien dabei zu explodieren. Er hatte vor zwölf Jahren gesehen, wie es anderen in ähnlicher Lage ergangen war. Sein Tod stand fest. »Wann …?« Abermals versagte ihm die Stimme.
»Wann ich wieder in dein Leben getreten bin?«, riet Bochim. »Ich habe dein Gehöft ausgekundschaftet und dafür gesorgt, dass deine Scholle zerbricht. Später bin ich dir als Kulkan im Goldenen Salamander begegnet – Ischáh hatte keine Ahnung, wer ich wirklich war. Dann habe ich die Rollen getauscht und bin als strahlender Ritter Bohan aufgetreten. Ich musste zwar etwas grob zu meinen eigenen Leuten sein, aber es war überzeugend. Hier im Garten der Seelen habe ich mich in ein Nakilep verwandelt – unter den Tiergestalten ist diese mir die liebste. Den Rest kannst du dir zusammenreimen, denke ich.«
Taramis stöhnte, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Deshalb hatte sich anfangs Kulkan und später Bohan in den Auseinandersetzungen zurückgehalten. Auf der Unsichtbaren Insel hatte der Seelenfresser Kletis, Slot und Liver ermordet. Keter dagegen schlug er nur nieder, damit jemand Narimoth reiten konnte, falls auch Ischáh getötet würde.
Bochim ging in die Hocke. Scheinbar nachdenklich betrachtete er den gefällten Krieger. »Irgendwie mag und bewundere ich dich sogar, Taramis. Mein Vater hat meine Mutter umgebracht, doch ich konnte bisher nicht viel mehr tun, als ihn dafür zu hassen und ein paar Ränke gegen ihn zu schmieden. Du kämpfst wenigstens offen für deine Familie. Leider kommt man damit nicht weit, wie du siehst. Wir leben in einer gnadenlosen Welt, in der man sich am besten auf die Seite der Stärksten schlägt, wenn man überleben will.«
Du selbstgefälliger Bastard!, schrie Taramis. Nur in Gedanken, versteht sich, denn zu lautstarken Gefühlsausbrüchen von solcher Ausführlichkeit fehlte ihm mittlerweile schlichtweg die Kraft. Und was war mit dem Drachenfeuer? Brodelte in ihm nicht genug Zorn, um es hervorbrechen zu lassen? Warum ließ es ihn diesmal im Stich? Offenbar
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