Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
verhinderte das Schwert in seinem Seelenbaum, dass er überhaupt irgendeine seiner Geisteswaffen gegen Bochim einsetzen konnte. Wehrlos war er dem Verräter ausgeliefert.
»Dein Tod soll nicht umsonst gewesen sein«, erklärte der Antisch. Es klang fast wehmütig. »Mit dem Reif der Erkenntnis erhofft sich Gaal die Kontrolle über Gan Nephaschôth. Er meint, der Garten erlaube ihm, zu bedrohen oder zu töten, wen er will. Wenn ich mir dich so ansehe, scheint er damit sogar recht zu haben. Ich werde ihm den Reif aushändigen und ihm von deinem Ableben erzählen. Dann habe ich bestimmt einen dicken Stein bei ihm im Brett. Ich glaube, er trägt dir die Sache damals auf Jâr’en immer noch nach.«
»Wo …?«, ächzte Taramis.
»Du willst wissen, wo mein Erzeuger ist?« Bochim grinste. »Jetzt kann ich es dir ja sagen. Der Mord an Eli war nur der Anfang. Gaal bereitet seine große Rückkehr auf die Weltbühne in Peor vor. Er ist den Weg der Unsterblichkeit gegangen, nachdem er in Eglons Körper gelaicht hat. Der oberste Priester von Komana ist längst vermodert. Nur seine Gestalt existiert in meinem Vater fort.«
»Sh-« Taramis versagte die Stimme. Er brachte nicht einmal Shúrias Namen heraus, konnte den Verräter daher auch nicht um Gnade für seine Frau und seinen Sohn anflehen.
Diesmal verzichtete der Antisch darauf, ihm etwas von den Lippen abzulesen. Stattdessen deutete er auf den Seelenbaum. »Das Schwert schenke ich dir. Du wirst zwar keine lange Freude mehr dran haben, aber betrachte es als Zeichen meiner Wertschätzung für dich. Jetzt schau mich nicht so zornig an, Taramis. Ich mag dich wirklich. Es ist nichts Persönliches.«
Bochims dunkle Gestalt schien zu einem substanzlosen Schatten zu verschwimmen. So wich sie aus Taramis’ Blickfeld. Er hörte noch das Flappen großer Hautflügel, dann wurde es um ihn herum still.
Der Mond und die Sterne verloren ihr Licht.
So muss es sich anfühlen, wenn man stirbt …
23. Spaziergang im Garten
D ie Anbeter Dagons glaubten, dass ihr Gott in einem todesähnlichen Zustand auf die Große Erweckung warte. Dazu müsse er sich mit einer unbefleckten Gefährtin paaren. Einmal im Jahr zelebrierten seine Anhänger im sogenannten Fest der Auferweckung diesen Vorgang, der in den folgenden zwölf Monaten von unzähligen Stellvertretern leidenschaftlich nachgespielt wurde. Da der Landesvater als Verkörperung des Großen Fisches betrachtet wurde, vollzog er an diesem höchsten religiösen Feiertag vor den Augen seiner Untertanen das Ritual der Vereinigung. Ziemlich alles daran besaß eine symbolische Bedeutung, weshalb Originaltreue eine untergeordnete Rolle spielte. In Komana war der Bräutigam bestenfalls einem Kugelfisch ähnlich und die Braut musste auch nicht unbedingt eine Jungfrau sein. Sie durfte sogar Kiemen haben.
Am Vorabend des Auferweckungsfestes betrat Shúria mit zitternden Knien den Garten vor dem Schlafgemach des Königs. Sie hatte kein hauchzartes Hemd anziehen müssen, sondern trug ein enges, langes Seidenkleid in Hetärenrot. Zu ihrer Überraschung empfing sie nicht Selvya, sondern Og höchstselbst übernahm diese Aufgabe. Sein Gewand war an diesem Abend erfrischend blickdicht. Er befahl den Leibwächtern, auf Abstand zu gehen, und brachte die Güte auf, ihr einen Sitzplatz auf einer Steinbank anzubieten.
»Danke, Majestät. Ich stehe lieber. Begeben wir uns heute nicht in Euer Gemach?«
»Was ich mit dir zu klären habe, bespricht sich besser an der frischen Luft. Lass uns ein wenig im Garten lustwandeln.«
Da die Leibesfülle des Königs jeglicher Form körperlicher Betätigung enge Grenzen setzte, beschränkte sich das vergnügliche Herumspazieren auf einen knapp gesteckten Parcours von wenigen Schritten zwischen den Feuertöpfen und Zierobstbäumen. »Ich will gleich zur Sache kommen, Shúria«, eröffnete er das Gespräch. »Unsere letzte Begegnung vorgestern Nacht war für mich in jeder Hinsicht äußerst unbefriedigend. Morgen Mittag beginnt das Fest der Auferweckung. Auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten werde ich mich als Inkarnation des Großen Fisches vor dem Volk mit meiner Braut vereinen. Ich frage mich nun, ob du diese Rolle übernehmen wirst.«
Ihr drohten die Beine einzuknicken. Sie wusste, was ein Nein für Ari und sie bedeuten würde. Unbewusst legte sie ihre Hand an die Wange, wo sie vor zwei Tagen die zärtliche Berührung von Taramis gespürt zu haben glaubte. Hatte er ihr damit ein Zeichen gesandt? Vielleicht musste sie
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