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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Anweisungen zu widersprechen? Hast du zu lange in der Sonne gestanden, Peridas?«
    »Ich kann mich nicht entsinnen, einen Befehl gehört zu haben …«
    Taramis wusste nicht genau, was da zwischen den beiden los war. In seiner aktiven Zeit bei der jâr’enischen Tempelwache hätte er eine solche Disziplinlosigkeit auch nicht durchgehen lassen. Die Ablenkung kam ihm jedenfalls wie gerufen. Ohne den Becher von den Lippen zu nehmen, so als schlürfe er das kühle Nass tröpfchenweise, bewegte er sich in Richtung Fenster. Als sein Blick durch die Lücke in den Vorhängen fiel, erstarrte er.
    Zu seiner Rechten ragte in vielleicht dreißig Schritt Entfernung ein überdachtes Podest auf. Oben saßen zwei Schönheiten, die, von ihren weißen »Hochzeitsgewändern« abgesehen, unterschiedlicher kaum sein konnten. Die hintere war blond und unverkennbar eine Ganesin; sie ähnelte Ischáh. Die Frau auf dem vorderen Stuhl dagegen hatte schwarze Haare, die sich gerade im Wind bauschten. Ihr Blick war auf die Menschen gerichtet, die sie begafften, mit Fingern auf sie zeigten und sich Dinge ins Ohr flüsterten, die wahrscheinlich zu schamlos waren, um sie laut auszusprechen. In ihrer Reglosigkeit wirkte die dunkle Schöne wie der schlafende Olam – im Äonenschlaf versteinert. Sie schien die gesichtslose Masse gar nicht wahrzunehmen.
    So sah Shúria immer aus, wenn sie ganz in sich gekehrt war.
    Taramis’ Hand verkrampfte sich im Samt des Fensterbehangs. Zorn wallte in ihm auf. Es stimmte also. Og hatte ihn nicht nur auf die niederträchtigste Weise belogen, er wollte sich sogar mit seiner – Taramis’ eigener – Frau paaren. Deshalb hatte der König also den Mann, dem er immerhin das Drachenhemd verdankte, in den Gästepalast abschieben wollen, weit weg von der öffentlichen Zurschaustellung seiner verruchten Obszönitäten.
    Gao, fülle meine Hand mit Macht, damit ich diesen Frevel beenden kann, flehte Taramis. Bitte, gib mir Ez oder besser noch das Drachenfeuer!
    Krachend brach die Halterung der Vorhangstange aus der Wand, sie schepperte zu Boden und das samtene Tuch rauschte mit hinab. Wenn dies eine himmlische Antwort war, dann eine ziemlich ernüchternde.
    Er bückte sich nach der vergoldeten Stange.
    »Was tut Ihr da! Geht weg vom Fenster und rührt das Rohr nicht an!«, brüllte der Hauptmann. Hinter ihm stand der junge Peridas und nickte Taramis zu.
    Der funkelte Dodul nur wütend an. Mehrere Leibwächter rückten auf den Störenfried zu. Die Bogenschützen legten auf ihn an. Sollte er Trugbilder erschaffen und sie ablenken? Und was dann? Etwa durchs Fenster springen und ganz allein, nur mit einer Vorhangstange bewaffnet, gegen die draußen versammelte Palastgarde kämpfen? Ihm wurde klar, dass er einen anderen Weg finden musste, um Shúria zu retten. Und zwar schnell.
    »Verzeiht meine Ungeschicklichkeit, Hauptmann«, sagte er. »Der Anblick der Braut hat mich überwältigt. Ich werde den Schaden wiedergutmachen.«
    Dodul starrte ihn wie einen falschen Silberling an. Seine Kiefer mahlten. »Verlasst auf der Stelle das Gemach des Königs«, knurrte er und streckte Taramis die offene Hand entgegen. »Der goldene Becher bleibt hier.«
    Nachdem man Taramis den Stab zurückgegeben hatte, wurde er vier Tempelgardisten überantwortet. Ihr Auftrag lautete, ihn zum Gästepalast zu eskortieren. Zu seinen Bewachern gehörte auch der junge Peridas. Das Schwert werde bis auf Weiteres in Verwahrung genommen, hatte ihm der Hauptmann erklärt. Anschließend drohte Dodul seinen Männern mit disziplinarischen Maßnahmen, sollte ihnen der Ehrengast des Königs irgendwo im Park abhandenkommen.
    Taramis wusste, dass ihm die Zeit gleichsam zwischen den Fingern zerrann. Shúrias Apathie war ein ernstes Warnzeichen. Er fürchtete sie zu verlieren, jetzt, da er sie gerade erst wiedergefunden hatte. Sie bereitete sich auf etwas vor, das ihr Kraft und großen Mut abverlangen würde – und das war bestimmt nicht das schmutzige Ritual der Vereinigung auf dem Dach des Palastes.
    Die Eskorte schwenkte auf eine schattige Allee ein, die auf den Baumring zulief, der wie eine Radfelge das monumentale, elfenbeinfarbene Gebäudekreuz umschloss. Noch war die Postenkette jenseits der grünen Barriere nicht zu sehen. Eine bessere Gelegenheit bekommst du nicht, sagte sich Taramis.
    Urplötzlich wirbelte er den Feuerstab herum und rammte das stumpfe Ende dem Gardisten rechts hinter ihm auf die Kinnspitze. Dann drehte er sich, legte den Schwung in den

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