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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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er das rothaarige Mädchen hier wiedertraf. Inzwischen war sie gereift, eine zauberhafte junge Frau in Shúrias Alter, der das Blau ihres schmalen Kleides wunderbar stand. Ihre grünen Augen hatten ihn genauso seltsam angesehen wie damals, als sie ihm auf die Schliche gekommen war, obwohl er für sie eigentlich hätte unsichtbar sein müssen. Selvya war ihr Name. Nicht mehr Eglon, sondern Og diente sie nun mit ihrer Gabe. Wie hatte sie diese umschrieben? Mein Herr meint, ich könne sehen, was wirklich war, wirklich ist und was wirklich sein wird. Jedenfalls hatte sie die Leibgardisten nicht merken lassen, dass sie den Besucher mit dem Drachenhemd kannte. Es schien, als habe sie ihm etwas Vertrauliches mitteilen wollen, es unter den argwöhnischen Blicken der Leibwächter aber nicht vermocht. Hoffentlich konnte sie die Audienz beim König erwirken.
    Der Sonnenstand zeigte an, dass sich die zweite Stunde nach Mittag dem Ende zuneigte. Taramis war gesagt worden, das Ritual beginne am Anfang der vierten. Seine Ungeduld drohte ihn förmlich zu zerreißen.
    Ein Scheppern in seinem Rücken ließ ihn herumfahren.
    Eine der Türen mit den vielen kleinen Fenstern öffnete sich und Selvya trat heraus. Sie lächelte höflich und deutete mit ausgestreckter Hand ins Zimmer. »Der König lässt Euch bitten.«
    Er lief an ihr vorbei in den Raum hinein, ein dämmriges, schwülstiges Gemach, das vor Gold nur so strotzte. Und vor Waffen. Weit über zwanzig Leibwächter waren darin verteilt. Einige hatten Bogen mit aufgelegten Pfeilen. Anders als die Posten im Park trugen sie keine Helme. Taramis wusste um die Abneigung vieler Fürsten gegen Kopfbedeckungen in ihrer erlauchten Gegenwart.
    Og war tatsächlich noch fetter geworden. Er stand vor einem monströsen Himmelbett, das auch als Sonnenschutz für eine Großfamilie hätte dienen können. Erwartungsvoll sah er dem Besucher entgegen.
    Selvya schloss hinter Taramis die Tür.
    »Friede, Taramis. Ihr seid es tatsächlich! Mir wäre nie in den Sinn gekommen, Euch jemals wiederzusehen!«
    »Weil Euch jemand von meinem kürzlichen Ableben erzählt hat, Majestät?« Taramis wollte der traditionelle Friedensgruß nicht über die Lippen gehen. Ein so menschenverachtender Götzendiener verdiente keine Herzlichkeit.
    »Nein, weil Ihr seinerzeit als Mörder meiner Mutter gesucht worden seid.«
    »Das war eine Intrige. Ich bin unschuldig.«
    »Ich weiß. Deshalb gibt es auch nicht den geringsten Grund für irgendwelche Feindseligkeiten. Bitte tretet näher. Ist dies dort Leviat, das Hemd der Unverwundbarkeit?« Og deutete mit abwärtsgerichteter Geste auf das Kleidungsstück, das Taramis trug.
    »Ja, ich habe es aus Malon mitgebracht«, antwortete dieser und lief bis zu einem ausladenden Vogelkäfig mit sechs goldgelben Sittichen.
    Von einem niedrigen Tisch hatte Selvya inzwischen ein Tablett mit Erfrischungen aufgenommen und bot ihm davon an. Er bat um etwas Wasser. Während Og von seiner Sammelleidenschaft sprach, füllte seine Schätzerin einen goldenen Becher und reichte ihn dem Gast. Danach ging sie zur gegenüberliegenden Wand und zog an einem der Fenster die goldgelben Vorhänge ein Stück weit auseinander.
    »Was tust du da?«, herrschte der König sie an.
    Rasch neigte sie das Haupt. »Im Zwielicht kommt doch das zauberhafte Schillern des feinen Tuches überhaupt nicht zur Geltung, Majestät. Ich dachte …«
    »Weiber sollen gehorchen, nicht denken«, fuhr er ihr über den Mund. »Und nun fort mit dir. Wenn ich dich brauche, lasse ich dich rufen.«
    »Sehr wohl, Majestät.« Sie entschwand mit federleichten Schritten zu einer Tür, die vermutlich in das Ankleidezimmer führte.
    Neugierig verfolgte Taramis ihren geziert wirkenden Rückzug, der offensichtlich darauf angelegt war, Og den Anblick ihres Rückens zu ersparen. Der König hob gerade an, sich weiter über seine Leidenschaft für exotische Stücke zu ergehen, als Selvyas Kopf in Richtung Fenster deutete: Zweimal ruckte er fast unmerklich zu den geöffneten Vorhängen hinüber.
    Taramis wollte weder sie noch sich kompromittieren, darum widmete er seine Aufmerksamkeit scheinbar wieder ganz dem Monarchen. In Wirklichkeit hörte er dem müßigen Gerede allerdings kaum zu, denn er fragte sich, was ihm die Rothaarige mit dem verstohlenen Wink wohl hatte sagen wollen.
    »… das Glanzlicht meiner Sammlung sein«, drängte sich Ogs hohe Stimme in sein Bewusstsein. »Meint Ihr, es würde mir passen? Ich bin etwas kleiner als

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