Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
ovaler Bereich der Wand färbte sich rot. Sie schien sich zu verflüssigen. Plötzlich hörte er eine leise Stimme. Eine Frauenstimme. Es war aber nicht Shúria.
»Hast du den Sternensplitter um?«
Die Schamottsteine der Mauer glühten nun orange. Sie gaben eine entsetzliche Wärme ab.
»Siath!«, erwiderte gereizt eine zweite Stimme, jetzt schon lauter, und es war – Taramis konnte sein Glück kaum fassen – unverkennbar seine Frau. »Natürlich habe ich ihn. Warum fragst du ständig danach?«
Mittlerweile erstrahlte die Wand in einem beunruhigend flackernden Gelb. Die Hitze nahm zu.
»Es ist gut«, sagte wieder die erste Frau. Eine tiefe Zuversicht schwang in ihrer vollen Stimme mit. »Ich dachte schon, meine Sinne spielten mir einen Streich. Dann löst sich die Wand wohl tatsächlich auf.«
Taramis meinte, er müsse auf der Stelle verglühen, als er endlich ins Innere des Ofens blickte.
Es war ein überraschendes Stufenbild mit Damen: Mit dem Rücken zu ihm stand der kleine Ari, der Shúria umarmte. Sie wiederum wurde von der anderen Frau umfasst, die noch größer – und nackt? – war. Den Namen der Blonden kannte er nicht. Es war aber dieselbe, die im Palastgarten auf dem Podest hinter seiner Liebsten gesessen hatte.
»Shúria! Ari!«, stieß Taramis hervor.
Rasch griffen er und Veridas in die glühende Hitze und zogen die fest ineinander verkeilten drei Menschen aus dem Opferofen. Kaum hatten sie das ovale Loch durchquert, schloss der Versetzer es wieder. Es schien, als sei es im Raum zwischen den zwei Wänden empfindlich kühl geworden.
»Shúria!«, sagte Taramis leise. »Ari!« Er meinte, sein Herz müsse vor Glück zerspringen. Ständig wiederholte er ihre Namen, drückte sie, streichelte sie und merkte im Freudentaumel gar nicht, dass auch die Fremde manche Liebkosung abbekam.
Im ersten Moment war Shúria zu benommen und wohl auch zu überwältigt, um überhaupt etwas zu sagen. Irgendwann sprach sie auch seinen Namen aus, zunächst flüsternd, fast zweifelnd, dann aber euphorisch vor überschäumendem Glück. Sie küsste ihn, er küsste sie, beide küssten Ari – und die Fremde blieb ebenfalls nicht ungeküsst.
»Siath hat uns gerettet«, sagte Ari nach einer Weile. »Sie ist ein Feuermädchen.«
Mit einem Mal wurde sich die Fremde wohl ihrer Nacktheit bewusst, obwohl es eigentlich viel zu finster war, um mehr als ihren Schemen zu erkennen. Verlegen trat sie in die noch tieferen Schatten zurück.
»Wartet!«, rief Veridas und streifte sich schnell sein äußeres Gewand ab. Darunter trug er eine dünne Tunika, die knapp über den Knien endete. Er lief zu Siath und reichte ihr das wollene Kleidungsstück. »Nehmt dies. Einem alten Wirrkopf wird man es verzeihen, wenn er halbnackt durch die Stadt läuft, einer so schönen Frau wie Euch wohl eher nicht.«
»Wie hast du das gemeint, Ari? Das mit dem Feuermädchen?«, erkundigte sich Taramis.
»Flammen können ihr nichts tun. Sie hat sich vor uns gestellt, damit wir nicht verbrennen. Aber der Rauch war ekelhaft.«
»Ich muss Euch danken, Herrin«, sagte Taramis und verneigte sich vor der Gestalt, die gerade mit dem Anlegen des Lehrergewandes beschäftigt war. Obwohl sie seine Augen kaum wahrnehmen konnte, hielt er den Blick diskret gesenkt.
»Ich weiß nicht, wer mehr für wen getan hat«, antwortete ihre dunkle Stimme aus den Schatten. »Shúria und Ari für mich oder ich für sie.«
»Wir drei sind Freunde, die füreinander durchs Feuer gegangen sind«, fügte Shúria hinzu. »Für mich ist sie wie eine Schwester.«
Er lächelte. »Verstehe. Dann also … herzlich willkommen in der Familie.«
Siath nickte scheu. »Du scheinst auch ein Flammenbad genommen zu haben, Taramis. Bist du einem Drachen begegnet?«
»Stimmt!«, entfuhr es Shúria. »Warum fällt mir das jetzt erst auf?«
»Eine verliebte Frau sieht ihren Schatz immer in strahlendem Glanz«, erklärte ihre Freundin lächelnd. Inzwischen hatte sie sich das Gewand über den Kopf gestreift. Weil sie etwas größer als Veridas war, endete es eine gute Handbreit oberhalb der Knöchel. Eine schlanke Statur hatten beide.
»Erstaunlich, dass du die Drachenaura gleich erkennst«, wunderte sich Taramis. »Du bist Ganesin, nicht wahr?«
»Das kann ich nicht verbergen.«
»Gibt es eigentlich viele Feuermädchen in deinem Volk?«
»Mir sind nur zwei bekannt: meine Schwester und ich.«
»Deine …?« Ihm verschlug es die Sprache. Er schluckte. »Sie heißt nicht zufällig
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