Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
Ischáh?«
Siath lief rasch auf ihn zu und griff nach seiner Hand. »Du kennst Ischáh? – Ja, natürlich! Ihr drei kommt auch aus Barnea. Hast du sie in Adma kennengelernt? Wie geht es ihr?«
»Sie ist hier. Wir und ein paar andere Freunde sind auf ihrem Donnerkeil Narimoth nach Komana gekommen.«
Sie schlug die Hände vor den Mund. »O Gott! An diesen schrecklichen Ort. Hoffentlich geschieht ihr nichts. Sie war immer die Zarte und Zerbrechliche von uns beiden. Wo ist sie? Was macht sie hier?«
»Im Augenblick zettelt sie einen Aufstand gegen die gesamte Führungsriege des Reiches an. Sonst geht es ihr aber gut.«
»Was? Meine kleine Schwester hat sich mit den Rebellen zusammengetan?«
»Eher mit Hunden und Katzen. Sämtliche Tiere der Stadt greifen die bewaffneten Garden an. Mir ist schleierhaft, wie sie das anstellt.«
»Wenn es im Wald brennt, flüchtet jede Kreatur. Sogar die Pflanzen rufen sich Warnungen zu. Wir Ganesen haben gelernt, dieses Verhalten zu lenken.«
»Du hast gerade Rebellen erwähnt. Gibt es sie tatsächlich?«
»Ja. Viele Hundert halten das Schwert in der Hand. Sie warten nur darauf, die Nachricht vom Tod des Königs zu hören. Dann werden sie sich erheben.«
Taramis lächelte grimmig. »Den Gefallen können wir ihnen tun. Lasst uns hier verschwinden, ehe die Tempelwächter zurückkommen.«
34. Der Bluttempel
D er Blick aus dem Fenster verhieß nichts Gutes. Taramis lehnte sich zurück und wandte sich zu Shúria, Ari, Siath und Veridas um. »Da kann ich euch unmöglich runterschicken.«
»Hört sich bedrohlich an. Was ist auf dem Platz los?«, fragte Veridas.
»Seht’s euch selbst an.«
Die vier kletterten auf den stufenartigen Sims, hinter dem die Luft- und Lichtöffnungen des Dachgeschosses lagen, und blickten zum Tempelvorplatz hinab.
Unter ihnen herrschte das reinste Chaos. Der Sperrgürtel aus Tempelwächtern war von zahlreichen Tieren durchbrochen worden. Offenbar hatten sich die Schwarzröcke in die Menschenmenge zurückdrängen lassen. Jetzt kämpften sie mitten unter den Götzenanbetern gegen wilde Hunde, keilende Schweine und anderes Getier. Panisch versuchten die Unbewaffneten dem Wirrwarr zu entkommen. Die außer Kontrolle geratene Masse wogte wie ein vom Wind aufgewühltes Meer hin und her. Wer in diesem Durcheinander zu Boden stürzte, wurde gnadenlos zu Tode getrampelt.
»Vielleicht sollten wir die Sache lieber hier oben aussitzen«, schlug Shúria vor.
Siath schüttelte den Kopf. »Nein, Schwester. Du hast doch Pharis gehört. Sie wollten uns erst richtig einheizen, wenn Eglon kommt. Irgendwo in diesem Tohuwabohu lauert er auf uns. Er hasst uns beide. Ich will ihm nicht über den Weg laufen.«
»Eglon existiert schon lange nicht mehr. Gaal ist in seine Rolle geschlüpft«, bemerkte Taramis.
Die beiden Frauen griffen sich erschrocken bei den Händen.
»Ich habe gefühlt, dass sich ein Seelenfresser als Oberpriester ausgibt«, sagte die Ganesin. »Um wen es sich dabei handelt, wusste ich allerdings nicht. Eglon hatte …« Sie hielt plötzlich inne, weil ein Greifvogel im Fenster landete, ein herrliches Tier mit schwarzem Gefieder und bernsteinfarbenen Sprenkeln auf der Brust. »Da bist du ja, mein Freund«, begrüßte sie ihn.
Die anderen sahen sich überrascht an.
»Man könnte glauben, jeder Ganese hat einen Vogel«, wunderte sich Taramis. Er entsann sich noch gut an seine erste Begegnung mit Ischáh.
»Das kommt der Wahrheit auch ziemlich nahe«, antwortete Siath und deutete auf den Greif, der gerade auf ihren Arm geklettert war. »Dieser hübsche Bursche hier ist Tosu, ein Goldmilan. Er wird den Rebellen die Nachricht vom Tod des Königs überbringen. Sobald dies geschehen ist, übernehmen sie strategisch wichtige Stellungen in der Stadt und besetzen den Palast. Sie werden zu Ende bringen, was meine Schwester heute begonnen hat, und Ogs Schreckensherrschaft versinkt im Staub der Geschichte. Bitte entschuldigt mich kurz.«
Die Ganesin führte ein melodisches Gespräch mit dem Greif, das für die Ohren der Übrigen unverständlich blieb. Danach streckte sie den Arm aus dem Fenster und Tosu flatterte davon.
»Ich wünschte, wir hätten auch Flügel, um so einfach wegzufliegen«, sagte Ari.
»Wo der Junge recht hat, hat er recht«, pflichtete Veridas bei.
Taramis nickte. »Ein Paar mächtiger Schwingen ließe sich schon auftreiben. Nur – würde ich Allon aufs Dach rufen, könnte er uns doch nicht alle mitnehmen. Kennst du einen anderen Weg hinaus,
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