Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
zögerte, sehr zu Taramis’ Gefallen. Der wohl beliebteste Zeitvertreib in Königshäusern war die Thronräuberei. Besser ohne Hemd als ohne Stuhl – das musste Jarmuth einfach einsehen. Die wulstigen Lippen des Monarchen zogen sich in die Breite. Bleckte er die Zähne? Gab er klein bei? Nein! Der Zwerg grinst!
»Ja«, antwortete der König bestimmt. »Ich habe einen loyalen Diener, der über jeden Zweifel erhaben ist. Wie er mir erzählte, seid Ihr ihm schon begegnet. Auf der Blauen Insel Dun. Seit jener Zeit ist er nicht abgeneigt, Euch den Schädel zu spalten.«
»Nur, weil es damals ein paar Missverständnisse zwischen uns gegeben hat.«
»Dann wisst Ihr also, von wem ich rede?«
Taramis nickte. »Wie könnte ich je den Blender Jagur vergessen, der einen meiner Freunde mit Blindheit geschlagen hat?«
13. Die Selektion
I hr Kopf lag weich. Gleichwohl ließ das Rumpeln ihn unablässig hin- und herschaukeln. Bei jeder Bewegung verrutschte in ihrem Schädel ein scharfkantiger Gegenstand – so jedenfalls fühlte es sich an. Vor Schmerzen verzog sie den Mund. Ihr wiedererwachender Geist sah sich mit noch ganz anderen Unannehmlichkeiten konfrontiert: dem Geruch von Schweiß und Urin, einer Hitze wie in einem Backofen und einem Besucher auf ihrer Wange. Trocken und so verstohlen wie eine Schlange strich er darüber hinweg. Ein Tier? Sie versuchte es zu verscheuchen, vernahm ein Klimpern … Warum waren ihre Hände so schwer?
»Mama?«
Sie hievte die flimmernden Lider hoch, sah um sich herum einen hölzernen Verschlag, der sich hin- und herbewegte … Ein Wagen! Außerdem beäugten sie etwa zwölf bis fünfzehn Augenpaare, Männer und Frauen, manche mit funkelndem Interesse, andere glasig und vollkommen apathisch. Die Menschen saßen zu beiden Seiten auf Holzbänken, Hände und Füße in Ketten. Direkt über ihr erschien ein kindliches Antlitz, das ihr Herz höher schlagen ließ. Endlich begriff sie, dass der Junge ihren Kopf in seinen Schoß gebettet hatte und unentwegt ihr Gesicht streichelte.
»Ari! W-wo sind wir?«
»In einem Wagen, Mama.«
»Das ist mir klar, kleiner Löwe. Aber …«
»Sie haben uns zusammengetrieben wie Vieh«, unterbrach sie schroff eine Frau mittleren Alters. Sie hatte eine sägende Stimme. Ihre Wangen waren schmutzig und feucht von Tränen. »Wer weiß, was sie mit uns vorhaben.«
»Was schon? Zu Sklaven werden sie uns machen«, brummte ein dunkelhäutiger Griesgram, unverkennbar aus Hakkore stammend. Über seine Stirn zog sich eine blutige Schramme. Er musste um die sechzig Jahre alt sein.
Shúria stemmte sich zum Sitzen hoch. Ihr Kopf schien dabei zu platzen. Man hatte auch ihr ebenso wie Ari Hand- und Fußketten angelegt. Die Haut unter den Eisenbändern war rot gescheuert.
»Sie haben Obin ermordet«, jammerte der Junge.
»Ist das Ihr Mann?«, fragte eine kühle Schönheit mit eisblauen Augen – dem Aussehen nach eine Ganesin. Im Gegensatz zu manch anderem im Wagen wirkte sie wie aus dem Ei gepellt. Ein cremefarbenes, tief ausgeschnittenes Gewand aus hauchfeinem Stoff umhüllte ihren schlanken Körper. Die Arme waren bis zu den Schultern hinauf unbedeckt. Ihr honigblondes Haar trug sie hoch aufgetürmt.
»Unser Bulle«, antwortete Shúria mit verkniffenem Gesicht.
»Oh?«
»Er war erst zehn Tage alt«, klagte Ari.
»Tut mir leid um dein Kälbchen, kleiner Mann.«
»Hilf mir bitte mal«, sagte Shúria zu ihrem Sohn. Auf seine Schulter gestützt schaffte sie es bis auf die Beine. Der Kastenwagen war so niedrig, dass sie den Kopf einziehen musste. Durch ein vergittertes Fenster sah sie eine mächtige Stadtmauer. »Hat jemand eine Ahnung, wo wir hier sind?«, fragte sie in die Runde.
Einige verneinten. Die meisten bekamen nicht einmal die Zähne auseinander.
»Vielleicht in Dagonis. Ich habe einen Fischkopf gesehen«, unkte der schwarzhäutige Greis mit der Schramme.
»Das sind die Mauern von Peor. Sie bringen uns zur Selektion«, antwortete die Blonde. Sie erhob sich ebenfalls und reichte Shúria die Hand. »Ich bin Siath, die Tochter Surimans.«
»Aus Gan?«
»Dort bin ich aufgewachsen. Verschleppt wurde ich aus Jâr’en.«
Shúria schnappte aufgeregt nach Luft. »Von der Heiligen Insel? Da habe ich früher auch gelebt mit …« Sie senkte die Stimme. »Mit Taramis, meinem Mann.«
»Dann müsst Ihr Shúria sein, die Zweitgeborene des Hohepriesters«, erwiderte die Ganesin ebenso leise.
»Ja! Aber lassen wir die Förmlichkeit, Schwester. Wir beten zum
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