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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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weniger geschockt, hatten sie doch gerade einen kaltblütigen Mord mit angesehen. Tempelwächter in schwarzen Röcken hatten die Frau mit langen Spießen in die Flammen gestoßen.
    Siath schnaubte. »Etwas weit Schlimmeres: tausend grausame Tode.« Sie blickte an den sieben oder acht Leuten vorbei, die vor ihr warteten. Gerade trat der dunkelhäutige Greis vor den Tisch, an dem ein feister Priester in nachtfarbener Robe die Selektion durchführte. Zu seiner Rechten wie zur Linken stand je ein hochgewachsener, mit Spieß, Säbel und Runddolch bewaffneter Schwarzrock. »Ich frage mich …« Ihre Stimme versickerte in tiefer Nachdenklichkeit.
    »Was?«, bohrte Shúria nach. Ihr schwante Schlimmes.
    »Es ist ungewöhnlich, dass sie jemanden sofort opfern. Sah mir eher nach einer Hinrichtung aus. Vielleicht hat die Kleine den Götzenpriester beleidigt.« Die eisblauen Augen der Ganesin funkelten aufgeregt.
    »Stell jetzt keine Dummheiten an, hörst du!«
    Sie wandte sich abrupt zu Shúria um, die sie um etwa eine Handbreit überragte. Die Gesichter der Frauen kamen sich ganz nahe. »Von wie vielen Männern gleichzeitig bist du schon vergewaltigt worden, Schwester?«, zischte Siath. »Von zweien? Dreien? Bei mir waren es mindestens ein Dutzend. Alles zum Ruhme des Großen Fisches. Und weißt du was?« Sie legte ihre Wange an die von Shúria, so als wolle sie sich von ihr verabschieden. Ihre Stimme war nur noch ein Hauch. »Es sind Antische gewesen. Dreckige Fischköpfe. Seelenfresser, die sich lediglich für komanaische Hurenböcke ausgegeben haben. Ich habe es gespürt – manchmal ist es ein Fluch, so eng mit der Natur verwachsen zu sein.«
    Shúria umarmte die Ganesin mit der freien Hand. Was sie gerade erfahren hatte, überstieg ihre schlimmsten Befürchtungen. »Hast du …? Bist du je …?«
    »Ob ich schwanger geworden bin, meinst du?« Siath löste sich aus der Umarmung. Ihr Blick war zu Boden gerichtet. »Ich habe es wegmachen lassen. Es war … ein kleines Ungeheuer … mit Streifen und Fischkopf … Seitdem kann ich keine Kinder mehr bekommen.« Sie schüttelte den Kopf. Ihre Unterlippe bebte.
    Das grausame Schicksal der Ganesin rührte Shúria zutiefst. Jetzt begriff sie, warum sich Siath vom Tod Erlösung versprach. Um ihr wenigstens etwas Trost zu spenden, griff sie nach ihrer Hand. Siath ließ es geschehen.
    Nach einer Weile schüttelte sie abermals den Kopf. »Ich will nie wieder für angebliche Gottesdiener die Beine breitmachen.«
    Gedankenvoll streichelte Shúria Aris Rücken. Er hatte aufgehört zu weinen und das Gesicht aus den Falten ihres leichten Gewandes befreit. Freiwillig hätte sie in diesem Aufzug niemals ein Dorf betreten – und nun befand sie sich sogar in der größten Stadt der Welt. Zu Hause war es für sie wie ein Spiel gewesen, wenn Taramis mit Blicken das duftige blaue Tuch zu durchdringen versuchte, um ihre festen Brüste zu sehen, oder wenn er ihre unverhüllten, von der Sonne gebräunten Waden bewunderte. Es gefiel ihr, wie sehr er sie begehrte, und sie fand nichts dabei, wenn die Rundungen ihres Körpers ihn erhitzten, bis ihn seine Leidenschaft manchmal übermannte und sie sich im Kornfeld oder an anderen ausgefallenen Orten liebten.
    Hier dagegen kam sie sich nackt vor wie eine Dirne, die es darauf anlegte, von Freiern angestarrt zu werden. Die aufreizende Kleidung mochte ja dazu beitragen, dass sie nach rechts hinübergeschickt wurde, zu den Hetären, aber wollte sie das noch, jetzt, nachdem sie von Siaths Schicksal erfahren hatte? Oder sollte sie nicht den Weg der Gnade wählen, der hinter dem Tisch nach links führte? In den Feuerofen?
    Auf einmal spürte sie die Wärme ihres Sohnes, der sich nach wie vor fest an sie drückte. In diesem Augenblick war klar, dass es nur eine Antwort für sie geben konnte. Sie würde ihn nicht leichtfertig opfern. Schon gar nicht für diesen mistigen Fischgötzen. Schließlich war sie eine Zeridianerin – und damit besaß sie eine Waffe, die man ihr nicht wegnehmen konnte: ihren Lebenssaft. Für Menschen anderer Völker war dieser im höchsten Maße giftig. Beim Geschlechtsverkehr floss immer etwas Blut, das wusste sie als Heilerin, selbst wenn es nur winzige Mengen waren. Gewiss zu wenig, um einen Mann zu töten – es würde ihn eher berauschen oder Trugbilder sehen lassen.
    Vielleicht schaffte sie ja beides: sich und Ari am Leben zu erhalten und die Freier zu vergraulen. Sie brauchte nur jemanden an ihrer Seite, der sich hier

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