Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
zurück.
»Misch dich da nicht ein, Siath«, knurrte sie der Priester an.
»Ich weiß, dass Og eine Vorliebe für exotische Extravaganzen hat. Diese Frau ist Zeridianerin. Ob er es wohl wagt, auch mit ihr den Ritus zu vollziehen?«
Ari zupfte seiner Mutter unterdessen abermals am Gewand und flüsterte: »Mama!«
»Halt’s dir auf bis später«, zischte sie.
Unwirsch starrte Pharis die Ganesin an, die inzwischen wieder neben seinem Tisch stand. Ihre Bewacher hatten den von ihr verursachten Kleiderbrand mittlerweile gelöscht, sie eingeholt und griffen gerade nach ihren Handgelenken. Der Blick des Selektors wechselte zu der Schönen aus Zeridia und von ihr, besonders ungnädig, zu dem Jungen an ihrer Hand. »Meinetwegen«, stöhnte er und trug zum zweiten Mal den Namen Naría in seine Liste ein. »Wie hieß noch gleich dein Sohn?«, fragte er Shúria.
»Er heißt Ari«, knirschte sie. »Soll ich es buchstabieren?«
»Das Witzemachen wird dir schon bald vergehen«, knurrte er, ohne von dem Blatt aufzusehen.
Während man Siath erneut abführte, trat ein Soldat der regulären komanaischen Armee an den Tisch heran. Er beugte sich zu Pharis herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Die dunklen Schweinsäuglein des Priesters richteten sich auf Shúria und verengten sich zu Schlitzen. »Stimmt es, dass du einen Hauptmann der Königlichen Grenzwache ermordet hast?«
Sie straffte die Schultern. »Ich weiß nicht, ob er ein Hauptmann war. Ich weiß nur, dass er das Leben meines Sohnes bedroht hat.«
Ein dünnes Lächeln kräuselte die wulstigen Lippen. »Ich bewundere, wie du dich für die kleine Kröte einsetzt, schönes Kind. Leider steht es mir nicht zu, eine Mörderin von ihrer Schuld freizusprechen. Das Recht der Begnadigung hat nur der König.« Mit zwei energischen Federstrichen tilgte er die Namen Naría und Ari aus seiner Liste und deutete mit seinem Schreibwerkzeug nach links. »In den Ofen mit ihnen. Und zwar sofort! «
Shúria hielt ihren Sohn umklammert. Mit wachsender Panik blickte sie den beiden Schwarzröcken entgegen, die sich ihr sogleich näherten. Diesmal konnte Siath sie nicht mehr retten – ihre Eskorte hatte sie schon außer Sichtweite gebracht.
Eine kräftige Hand schloss sich um ihren Oberarm, eine weitere packte Ari und entriss ihn brutal dem Griff seiner Mutter.
Sie schrie seinen Namen.
Weinend streckte er seine Hände nach ihr aus. »Mama!«
Grob wurden sie von dem Tisch weggezerrt, tiefer in die Schatten der Kolonnaden hinein, hin zu der bronzenen Tür. Pharis musterte gleichgültig bereits den nächsten Gefangenen. Zwei Ofenwächter öffneten die Feuerstätte. Glühende Hitze schlug Shúria entgegen.
»Bitte wartet!«, stieß sie hervor.
Tatsächlich zögerten die Henkersknechte, sie in die Flammen zu stoßen.
Shúrias Blick traf sich mit dem ihres Sohnes. »Es tut mir leid, Ari«, schluchzte sie.
»Bitte doch den Fettkloß, der uns beobachtet, um Gnade«, flehte er. »Ich hab’s dir schon die ganze Zeit sagen wollen.« Der Junge deutete zu einer umschatteten Stelle etwa sechs Schritte hinter dem Tisch des Selektors. Als wäre dies ein verabredetes Zeichen – oder einfach das Signal für einen, der sich ertappt fühlt –, trat ein ungemein dicker Mann in kostbarem Gewand zwischen den Säulen hervor ins Sonnenlicht. Mit ihm erschienen acht Soldaten in brünierten Harnischen mit silbernen Adlern auf der Brust.
»Halt!«, rief er gebieterisch mit eunuchenhaft hoher Stimme. Shúria hatte genug vom komanaischen König gehört, um ihn sofort zu erkennen. Er war tatsächlich erstaunlich fett und für einen so mächtigen Mann zudem erstaunlich jung – nach Taramis’ Berichten musste er achtundzwanzig Jahre alt sein. Og trug goldene Sandalen und ein weißes, golddurchwirktes Hemd, das ihm bis zu den Knöcheln reichte. Die Sonne schien durch das feine Leinen und bildete auf dem luftigen Gewebe die annähernde Kugelform des erlauchten Leibes als wuchtigen Schattenriss ab.
Im Umkreis wurde gemurmelt. Der Selektor sprang von seinem Klappstuhl auf, wirbelte herum und bemühte sich um eine hinreichend respektable Verbeugung. Die beiden Tempelwächter drehten sich mit den Todgeweihten um und neigten sich ebenfalls tief herab. Mit ihnen mussten notgedrungen auch Shúria und Ari die Gesichter dem Boden zuwenden.
Og näherte sich den Delinquenten in einem merkwürdigen Watschelgang. Seine Zehen deuteten dabei weit nach außen. Neugierig musterte er Shúria aus seinen schwarzen Knopfaugen.
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