Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
»Von welchem Volk bist du?«
»Das weiß er ganz genau«, flüsterte Ari.
»Schsch!«, machte sie und zwang sich zu einem gewinnenden Lächeln, mit dem sie sich dem König zuwandte. »Wir stammen vom Zeridia-Atoll, Majestät.«
»Dein Name?«
»Naría, Majestät.«
Er verzog das Gesicht zu einer tadelnden Miene und schüttelte den Kopf. »Falsche Antwort. Warum belügst du mich?«
Shúria erschauderte. Rasch senkte sie den Blick. »Majestät?«
»Hauptmann!«, sagte Og in gelangweiltem Ton und streckte einem seiner Leibwächter träge den fleischigen Arm entgegen.
Der Soldat hatte bisher im Hintergrund gestanden, weshalb Shúria nichts Ungewöhnliches an ihm aufgefallen war. Er hielt ein längliches, in weißen Stoff eingewickeltes Paket in der Hand. Ein weiterer Schauer durchlief sie, als er das Tuch zurückschlug und Malmath zum Vorschein kam.
»Den Schild habe ich übrigens auch«, bemerkte Og beiläufig. »Du kennst dieses Schwert?«
»Ja«, antwortete Shúria leise. Sie wäre sich wie eine Verräterin vorgekommen, wenn sie es geleugnet hätte.
»Sprich lauter, Schöne von Zeridia. Wir können dich sonst nicht verstehen. Hast du mit dieser Waffe einen meiner Hauptleute getötet?«
»Sie bedrohten meinen Sohn.«
»Für ein Weib wahrhaft eine beachtliche Leistung«, stellte Og fest. »Bei der Gemahlin eines so berühmten Kriegers wie Taramis vielleicht noch verständlich, aber trotzdem – alle Achtung! Ihr seid doch die Tochter des früheren Hohepriesters, nicht wahr?«
Was sollte sie da antworten? Ihren Vater hatten die dagonisischen Schutzherren Komanas ermordet. Manchmal war eine hohe Herkunft allerdings auch von Nutzen. Sie entschloss sich, dem Versteckspiel ein Ende zu machen, und nickte. »Ja, ich bin Shúria.«
»Gut, dass du dich auf die Wahrheit besinnst. Den König zu beschwindeln ist in Komana nämlich ein todeswürdiges Verbrechen. Was soll ich nun mit dir anfangen? Ein Mord und eine Lüge – zweimal verbrennen ist unmöglich. Ich könnte dich erst enthaupten und danach in den Ofen …«
»Stellt mich unter Euren Schutz, Majestät, und es wird Euch zum Ruhme gereichen«, wagte sie seine Erörterung der Hinrichtungsstrategie durch einen konstruktiven Vorschlag zu unterbrechen.
»Schutz?«, wiederholte Og amüsiert. »So habe ich es noch gar nicht betrachtet. Aber du hast recht. Ich werde dich in die Obhut des Hurenhauses geben. Bei den Tempelhetären bist du gut aufgehoben.«
»Und mein Sohn, Majestät?«
»Für Kinder ist im Haus der Bräute Dagons kein Platz.«
Sie umschlang Ari mit beiden Armen. »Eher sterbe ich, als den Jungen Euren Öfen zu überliefern.«
»Wir können ihn auch in die Kupferminen schicken.«
»Er bleibt bei mir – im Leben und im Tod.«
Og sah die trotzige Mutter aus engen Augen an. Sie fragte sich, ob dieser König wohl genauso wankelmütig war wie sein Selektor. Schließlich seufzte er. »Na, meinetwegen. Dann nehmt ihn mit. Für den Enkelsohn des großen Eli kann man schon mal eine Ausnahme machen.«
Mit generöser Geste bedeutete er den Wachen, die Gefangenen den Eunuchen zu übergeben. Danach wandte er sich dem Priester mit der Schreibfeder zu.
»Pharis, macht einen Eintrag in Eure Liste.«
14. Der Himmelsspeer
D er Zwerg kostete seinen Auftritt aus, das war nicht zu übersehen. Umjubelt vom Hofstaat schritt er mit geschwellter Brust an den Tischreihen entlang, ein wandelnder Knoten aus Muskelsträngen, mit einer blitzenden Doppelaxt am Gürtel. Seine Statur war gedrungener als die des Königs, wirkte in ihrer kraftvollen Geschmeidigkeit aber noch dynamischer. Das Aussehen des von Jarmuth eingesetzten »Sonderbevollmächtigten zur Beschaffung des Erkenntnisreifes« hatte sich in den vergangenen zwölf Jahren kaum verändert: dieselben abstehenden Ohren, wild wuchernden schlohweißen Haare und zahllosen Falten im Gesicht.
Anders als damals trug er eine dunkelbraune Tunika aus festem Leder, die mit ähnlichen Ornamenten bestickt war, wie Taramis sie an der Fassade des Tausendaugenpalastes gesehen hatte. Die Arme des Kirries waren nackt, ebenso wie vom Knie abwärts seine Beine – auf allen Gliedmaßen kräuselten sich farblose Haare. Aus den derben Sandalen an seinen Füßen blickten je fünf knubbelige Zehen hervor, die Taramis spontan an eine zeridianische Giftknollenart erinnerte, die in schwer zugänglichen Mooren wuchs.
Der Zwerg nickte Ischáh lächelnd zu, würdigte den Drachentöter jedoch keines Blickes. Unerschrocken baute er sich
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