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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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war so durchsichtig, dass es mehr von ihrem Körper zeigte, als es verhüllte. Dünne Seidenbänder hielten es auf ihren nackten Schultern, der Ausschnitt endete knapp über den Brustwarzen, in der Mitte reichte er sogar noch tiefer. Damit sich die so drapierte Braut auf dem Weg ins Hochzeitshaus nicht erkältete, gestand man ihr einen Mantel zu, der nur unwesentlich dicker war. Immerhin boten zwei Stofflagen mindestens einen doppelten Schutz: gegen die Kälte und die lüsternen Blicke.
    Die schwarz gewandeten Tempelwächter ließen keinerlei Ehrgeiz erkennen, ihre Triebe zu verbergen. Im Dienst war es ihnen zwar bei Todesstrafe verboten, die Bräute unsittlich zu berühren, doch das hinderte sie keineswegs daran, sich an deren Reizen zu weiden. Weil Shúria davon mehr als manch andere Hetäre zu bieten hatte, starrten die Männer sie besonders gierig an.
    Der entwürdigende Marsch führte unter einem überdachten, von Fackeln erhellten Säulengang entlang zu einem mehrstöckigen Gebäude, das unmittelbar hinter dem Bluttempel lag. Bisher kannte sie es nur aus Siaths Schilderungen.
    Im sogenannten Hochzeitshaus stellte man täglich von mittags bis spät in die Nacht die Vereinigung des Großen Fisches mit seiner Braut nach. Die männlichen Darsteller durften in diesem Mysterienspiel allerlei Wünsche äußern – dahingehend, welche Form des Rituals Dagon ihrer Ansicht nach bevorzuge. Wenn sich eine Gespielin den Vorstellungen des Freiers nicht fügte, wurde sie im Wiederholungsfall von den Schwarzröcken ausgepeitscht und bei hartnäckiger Verweigerung der Ehepflichten im Opferofen verbrannt. Willfährige Frauen dagegen genossen den Schutz eines streng reglementierten Tagesablaufs mit vorgeschriebenen Ruhepausen und einer Begrenzung auf höchstens vier Vermählungen am Tag.
    Shúria kam sich wie ein gerupfter Stelzvogel vor. Ihre nackten Füße steckten in Sandalen, unter deren Sohlen sich Holzklötze befanden, die etwa drei Fingerbreit hoch und an der Unterseite mit Eisennägeln beschlagen waren. Das obligatorische Schuhwerk ließ das Laufen zur Qual werden und sorgte zugleich für ein geräuschvolles Spektakel. Sinn der Übung war der Schutz komanaischer Kinder und Frauen. Sie mussten sich abwenden, wenn sie das Klappern der Hurenschuhe hörten. Die Dagonpriester waren sehr auf Sitte und Moral bedacht.
    Ein Tempelhüter und eine Hetäre kamen ihnen entgegen. Das Hochzeitsgewand war um ihre Scham herum blutig. Shúria erkannte sie an der zarten Statur, sie spielte des Öfteren mit Ari. Das Mädchen war gerade vierzehn Jahre alt. Es stolperte in seinen Hurenschuhen mehr, als dass es lief. Das Gesicht hatte sie unter einem Schleier verborgen und klapperte vornübergebeugt, leise vor sich hin weinend, an der Eskorte vorbei. Ari würde seine liebe Mühe mit ihr haben.
    Als sich Shúria nach dem Mädchen umdrehte, entdeckte sie in den Schatten am Rande des Weges eine Gestalt. Ein kleinerer Mann, wohl schon in vorgerückten Jahren, wie sie zu erkennen glaubte. Vermutlich ein alter Lustmolch, der sich mit den Augen holte, was er mit den Händen nicht mehr zu packen bekam.
    Durch das Umwenden bemerkte sie den Blick des Begleiters zu ihrer Rechten, der auf ihren Brüsten ruhte. »Könnt Ihr mir sagen, Hauptmann, wer heute mein Bräutigam sein wird«, wagte sie den Tempelwächter in seinen Betrachtungen zu stören.
    Er wirkte überrascht. Wahrscheinlich gehörten Gespräche zwischen den Bräuten und ihren Führern nicht zur täglichen Praxis. Nach kurzer Bedenkzeit antwortete der Mann: »Da du ihn ohnehin gleich zu sehen bekommst, kann ich es dir wohl verraten. Du genießt ein Vorrecht, das nur wenigen zuteilwird. Der ehrenwerte Eglon wird heute das Ritual der Vereinigung mit dir vollziehen.«
    »Ich bin beeindruckt«, murmelte Shúria schaudernd. Ausgerechnet dieser Verräter! Sie hatte ihn zuletzt vor zwölf Jahren auf der Heiligen Insel gesehen, als er aus dem Tempelbezirk herausstolziert kam, so als sei bereits er und nicht mehr Eli der höchste Priester Gaos. Trotz seines Gehabes hatte er die Angst kaum verhehlen können, die ihm Gaals Raserei einjagte. Der dagonisische König hatte im Garten der Seelen nämlich zur gleichen Zeit wahllos Pfeile verschossen, womit er zufällig auch den Seelenbaum des Priesters treffen und beide hätte töten können. Ob Eglon nun, da man den alten Hohepriester ermordet hatte, erneut den Titel des Chohén beanspruchte?
    »Das ist wohl das Mindeste«, sagte der Hauptmann. »Bist du

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