Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
Wahrheit zu schützen, doch Ari war nicht dumm. Es entging ihm keineswegs, wenn die Bräute nach der Hochzeit auffallend oft weinten oder wenn sie mit leeren Augen vor sich hin starrten. Deshalb hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu trösten, während man seine Mutter auf das erste Ritual vorbereitete.
Manchen der Tempelprostituierten gab man dazu ein ganzes Jahr, Shúria hingegen wurden gerade einmal sieben Tage zugestanden. In dieser Zeit schrubbte man sie, massierte sie, rieb sie mit Ölen ein, entschlackte ihren Körper mit einer besonderen Heilkur und stellte noch eine Reihe anderer Dinge mit ihr an, die der Reinheit des zeremoniellen Aktes dienen sollten.
Siath musste sich auf gleiche Weise von jeglicher inneren und äußeren Befleckung befreien. Das war bisher immer so gewesen, wenn man sie nach einer Flucht eingefangen hatte. »In dieser Zeit fassen dich keine geilen Böcke an«, hatte sie erklärt. »Allein dafür lohnt es sich, bald wieder auszureißen.«
Die Ganesin war für Shúria eine unschätzbare Hilfe. Ohne ihren Beistand wäre sie mit der Verzweiflung nur schwer zurechtgekommen. Sie werde niemals die Braut eines Fisches, hatte sie ihrer neuen Freundin klargemacht, auch wenn sich der Götze von einem Mann vertreten lasse. Lieber stürbe sie, als sich einem anderen hinzugeben. Ihre Treue zu Taramis sei unverbrüchlich.
Am Tag nach ihrer Ankunft hatte der oberste Eunuch ihr Gespräch belauscht. Er hieß Lagis und war ein birnenförmiges Schlitzohr mit Glatze und gutmütigem Wesen. Auf eine nicht unbedingt nachvollziehbare Weise betrachtete er die Hetären als seine Töchter und sorgte sich um ihr Wohl. Entsprechend eindringlich machte er Shúria klar, dass man ihren Sohn lebendig durchs Feuer gehen lassen werde, wenn sie ihre Haltung nicht ändere.
Um Ari zu schützen, gab sie sich einsichtig und ließ die Reinigungszeremonien geduldig über sich ergehen. Mit ihren alten Kleidern und dem Schmutz legte sie scheinbar auch ihr früheres Leben ab. Insgeheim behielt sie den Sternensplitter, den Taramis ihr geschenkt hatte, und trug ihn so oft wie möglich. Der Stein half ihr, an der Hoffnung festzuhalten, dass ihr Liebster zu ihr finden werde. Vielleicht schon morgen. Aber dieses Morgen kam nicht. Das erste Ritual der Vereinigung indes stand nun kurz bevor.
»Bist du dir bei dieser Sache auch ganz sicher?«, fragte Siath leise. Sie hatte ihrer Freundin das schwarze, lange Haar gekämmt und versprochen, auf Ari aufzupassen. Im Moment war er mit einigen Mädchen von fünfzehn und sechzehn Jahren zusammen, die mit ihm spielten.
»Ich bin Heilerin. Ich weiß, was ich tue«, flüsterte Shúria. Ihr persönliches Reich im Hetärenhaus, das sie sich mit Ari teilte, war lediglich drei mal drei Schritte groß. Durchscheinende Tücher trennten es von den Schlafstätten ihrer Nachbarinnen ab.
»Und ich bin Ganesin. Diese Kräuter können tödlich sein. Das spüre ich.«
»Nicht in der Menge, die ich mir ins Wasser gerührt habe.«
»Wenn man dir auf die Schliche kommt, werfen sie Ari und dich bestimmt in den Ofen.«
»Weise ich den ›Bräutigam‹ offen zurück, tun sie es auch.«
Siath küsste Shúria auf die Wange. »Möge Gao dich schützen, Schwester.«
»Bist du bereit?«, fragte unvermittelt eine helle Stimme, die beide Frauen herumfahren ließ.
»Lagis!«, zischte die Ganesin. »Wie oft habe ich Euch schon gesagt, dass Ihr Euch nicht so anschleichen sollt!«
Der mollige Eunuch kicherte. »Das macht aber solchen Spaß! Man erfährt dabei lauter aufregende Sachen.«
Shúria erschauerte. Hoffentlich hatte der selbst ernannte Hetärenvater nichts von ihrer List mitbekommen. Ab sofort musste sie ihre Rolle überzeugend spielen. Sie erhob sich, wankte, fasste sich an die Stirn und spreizte gekonnt den kleinen Finger ab.
»Was ist mit dir, Töchterchen?«, fragte er besorgt.
Sie schüttelte den Kopf. »Nur ein leichtes Unwohlsein. Wisst Ihr schon, wer mein … Bräutigam sein wird?« Es fiel ihr nach wie vor schwer, diese Beschönigung männlichen Machtgehabes über die Lippen zu bringen.
Lagis grinste. »Lass dich überraschen.«
Üblicherweise eskortierte ein einziger Tempelwächter die Hetäre zur Zeremonie. Nur bei erhöhter Fluchtgefahr wich man von dieser Regel ab. Oder wenn der Bräutigam ein wichtiger Mann war. Siath hatte erzählt, sie bekomme grundsätzlich zwei Aufpasser. Für Shúria wurden in dieser Nacht gleich vier abgestellt.
Sie trug ein knöchellanges weißes Hemd. Es
Weitere Kostenlose Bücher