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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aufgeregt?«
    »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Du schwankst, als wärst du betrunken, obwohl Lagis strengstens darüber wacht, dass sich die Tempelhuren des Weines enthalten.«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Mir ist nur etwas schwindlig.«
    Er grinste. »Ist beim ersten Mal meistens so. Das wird sich mit der Zeit legen. Übrigens soll der Oberpriester sehr pfleglich mit den Hetären umgehen, ganz im Gegensatz zum König. Du kannst dich somit in jeder Hinsicht glücklich schätzen.«
    Das Hochzeitshaus war farblich auf den Tempel abgestimmt, also blutrot. Auch dessen runde Form hatten die Bauleute übernommen, es gab nur weniger Lichtöffnungen, was mit den darin praktizierten Ritualen zusammenhängen mochte. Durch einen von Säulen flankierten Rundbogen gelangte Shúria in eine hohe, ovale Vorhalle. An den stuckverzierten, bunt bemalten Wänden entlang standen mächtige Feuerschalen. Das Vestibül war mit vielfarbigen Steinornamenten ausgelegt, die, ebenso wie die Wandmalereien, das Thema der Vereinigung zwischen Fisch und Mensch in obszöner Mannigfaltigkeit variierten.
    Vier anmutige Brautjungfern nahmen Shúria in Empfang. Diesen Schönheiten oblag die Sicherstellung störungsfreier Abläufe im Hochzeitshaus. Ihre Haare waren einheitlich hochgesteckt und goldfischrot. Sie trugen bodenlange, schulterfreie, weiße Gewänder mit kupferfarbenen Seidengürteln. Der faltenreiche Stoff war weniger durchsichtig als der ihrer Schutzbefohlenen. Da er die Füße der Begleiterinnen bedeckte und sie sich ausgesprochen verhalten bewegten, hätte man sie für Galionsfiguren halten können, die auf ihren Booten über eine von wollüstigen Fischen wimmelnde See dahinglitten.
    Während sich die Schwarzröcke zurückzogen, geleiteten die Jungfern Shúria zu einem ebenerdigen Empfangszimmer, das ungefähr zwanzig Schritte breit und acht Schritte tief war. Man teilte ihr freundlich mit, dass sie sich nun in den Gemächern des Oberpriesters befinde, die gelegentlich auch von Seiner Majestät dem König benutzt würden. Da er zu dieser vorgerückten Stunde keine Audienzen mehr gebe, könne sie gleich zum Hochzeitsgemach durchgehen.
    Dieses lag hinter einer weiteren zweiflügligen Tür, die sich nur unter knarrendem Protest öffnete, und unterschied sich in mancher Hinsicht von den Räumen davor. Es verfügte über einen nachtblauen Teppichboden, über ein in gelber Seide gehaltenes rundes Bett von beachtlichem Durchmesser sowie über allerlei Kissen und Polster, die sich sowohl zum Sitzen als auch für andere Übungen eigneten. Auf mehreren flachen Rundtischen standen silberne Tabletts mit einer Weinkaraffe, Trinkgläsern, Früchten und diversen kleinen Gaumenfreuden. In der Obstschale bemerkte Shúria einen glitzernden Lichtreflex.
    Zwei der Brautdamen streiften ihr den Mantel ab und zogen ihr die Hurenschuhe aus. Obwohl sich nur Frauen im Raum befanden und diese die Braut mit ausgewählter Höflichkeit behandelten, kam sie sich in ihrem dünnen Hemd geradezu nackt vor. Um nicht dem Drang nachzugeben, ihre Blöße und die Brüste zu bedecken, ließ sie die Arme locker hängen.
    Die älteste der Jungfern – sie mochte Ende dreißig sein – neigte den Kopf und sagte mit sanfter Stimme: »Bitte geduldet Euch ein wenig, Schwester. Der Bräutigam hat sein Kommen bereits angekündigt. Ihr dürft Euch überall hinsetzen, nur nicht aufs Bett.«
    Auch die anderen drei Rothaarigen beugten das Haupt und strebten dann rückwärts auf den Ausgang zu.
    »Da wäre noch etwas«, säuselte die Wortführerin, ehe sie die knarrende Tür schloss. »Behaltet bitte das Hochzeitsgewand an. Der Herr möchte Euch persönlich entkleiden.«
    Als die Tür abermals geöffnet wurde, fuhr Shúria heftig zusammen. Wie lange hatte sie gewartet? Eine halbe Stunde? Sie stand an derselben Stelle, wo die Jungfern sie verlassen hatten, die Hände, wie es schien, scheu hinter dem Rücken versteckend. Das Messer, das sie aus der Obstschale entwendet hatte, hielt sie in der Rechten. Sie war entschlossen, es zu benutzen, sollte der Bräutigam zu weit gehen. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie er das Hochzeitsgemach betrat und die Tür wieder schloss.
    Unverkennbar war es Eglon, wie er leibte und lebte. Inzwischen musste er Anfang sechzig sein, hatte sich aber gut gehalten. Die Statur stattlich, ja, athletisch, der Ziegenbart schwarz, das kantige Gesicht von nur wenigen Falten besiedelt, machte er höchstens den Eindruck eines Fünfundvierzig- oder sogar

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