Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
verdrängte den ernsten Rat, sich niemals in eine Frau zu verlieben. Wenn schon nicht sein ganzes Leben, so wollte er doch wenigstens eine Zeit langen Glückes mit Lasia teilen. Und so feierte er, alle Warnungen in den Wind schlagend, Hochzeit mit ihr.
Sie verbrachten etwas mehr als ein halbes Jahr auf der Paradiesinsel, lebten im Haus der Sterne. Bald sagte ihm Lasia, dass sie schwanger sei. Es sei das Schönste gewesen, was er je gehört habe, entsann sich der Äonenschläfer. Als der Leib seiner Frau rund geworden war, kehrten sie nach Jâr’en zurück, wo es tüchtige Hebammen gab. Drei Monate danach kam Taramis zur Welt.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hatte ihn dann wenige Wochen später die Abberufung getroffen.
Olams Miene war voller Bitternis, als er sich an diesen Tag erinnerte. »Eli hatte einen Traum gehabt. Als er mir davon berichtete, wusste ich sofort, dass es eine Botschaft Gaos war. Auf Tehom braue sich großes Unheil zusammen, sagte er, der Name bedeute ›Abgrund‹ und genau vor einem solchen stehe dieses Reich. Ich hatte dem Chohén nie von den anderen Welten erzählt. So musste ich von meiner Frau und meinem Sohn Abschied nehmen. Am Tag, als ich ging, schenkte ich dir Ez, den Zweig des Lebensbaumes. Eli bat ich darum, Lasia und dich niemals fortzuschicken. Du solltest wohl behütet unter den Tempelwächtern, Priestern und Ganesen aufwachsen.«
»Damit hast du Mutter in den Tod geschickt«, sagte Taramis schroff. Er war von der überraschenden Begegnung mit seinem Erzeuger zu aufgewühlt, um sich in Taktgefühl zu üben. Gerade hatte er die Grenzen der eigenen Welt überschritten, um seine Familie zu retten, da fiel es ihm schwer, Verständnis für einen Mann aufzubringen, dem Frau und Kind scheinbar gleichgültig waren.
Olam erblasste. »Was sagst du da? Lasia ist …?«
»Ermordet worden«, sprach Taramis aus, was sein Vater nicht über die Lippen brachte.
»Ich hätte auf die Warnungen hören sollen«, sagte der Äonenschläfer tonlos und ließ sich vom Sockel gleiten. Er war geringfügig kleiner als sein Sohn. Diesen mit müder Geste zum Mitkommen auffordernd, wandte er sich einem der Durchgänge zwischen den Säulen zu. »Komm, Taramis. Ich habe dein ganzes Leben verschlafen. Viel zu lange! Für das, was es zu berichten gibt, muss ich mich stärken.«
Wütend stapfte Taramis hinter ihm her. »Danke, ich habe keinen Hunger.«
Der türlose Eingang führte in einen quadratischen Raum. Das Abendlicht darin war ebenso sanft wie in der Rotunde. Es drang in Abertausenden von Reflexen durch die schillernde und flirrende Außenwand aus Vogelleibern. Die Einrichtung des Speisezimmers bestand aus drei Möbelstücken: einem Paar Lehnstühle aus Alabaster und einem dazu passenden, runden Tisch, beladen mit Schalen voll gesottenen Gemüses, Eiern, Käse, verlockend duftendem Brot, süßem Gebäck, Obst und anderen Köstlichkeiten. Dazu standen dort kristallene Karaffen mit Wasser, Säften und Wein.
Die Tafel war für zwei Personen gedeckt.
Schweigend ließ sich Olam die zwölf Jahre alte Geschichte erzählen. Die Nachricht von Lasias Tod hatte ihn am härtesten getroffen. Auch die übrigen tragischen Ereignisse, von denen Taramis berichtete, berührten ihn zutiefst. Dennoch verlor er keinen Moment lang die Fassung. Seine unerschütterliche Ausgeglichenheit spiegelte sich in seiner Körpersprache und allem wider, was er sagte. Für die zornigen Vorwürfe seines Sohnes zeigte er nicht nur Verständnis, dessen aufgewühlte Gefühle rührten ihn sogar zu Tränen. Doch selbst diese wusste er noch zu kontrollieren. Eine so vollkommene Beherrschtheit fand Taramis irgendwie unheimlich. Nie war er einem Menschen begegnet, der solchermaßen fest in sich ruhte. Wenn Altersweisheit zu Gelassenheit führte, dann musste Olam fürwahr viele Äonen gelebt haben.
»Du sagst, der Oberpriester von Komana heiße Eglon?«, erkundigte sich der Schläfer, nachdem Taramis auch die jüngsten Geschehnisse zusammengefasst hatte.
Der nickte. Mittlerweile hatte er sich beruhigt und sah die Taten seines Vaters in einem etwas milderen Licht. Als ehemaliger Tempelwächter verstand er, was Gehorsam und Treue bedeuteten. Olam war von Gao eine große Verantwortung aufgebürdet worden, die ihm Opfer abverlangte. Diese Pflicht löste sich nicht einfach in Wohlgefallen auf, nur weil er einmal die Regeln missachtet hatte. Der Äonenschläfer haderte deshalb nicht mit Gott, sondern trug demütig die Folgen des eigenen
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