Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Freund ist.«
»Manchmal können einem auch Freunde wehtun.«
Er schwieg eine Weile. Wie meinte sie das? Dachte sie dabei an ihn? Taramis war nach der Schlacht so erschöpft, dass er am liebsten gleich ins Bett gefallen wäre und eine Woche lang geschlafen hätte. Doch das durfte er nicht. Ari war in der Gewalt des fischgesichtigen Ungeheuers. Nicht auszudenken, was Gaal mit ihm anstellen würde, wenn er nach der grandiosen Niederlage auf Xoth heimkehrte. Taramis nahm alle Kraft zusammen und sagte: »Ich muss dich noch einmal alleine lassen.«
»Nein!«, stieß Shúria hervor.
»Schatz«, begann Taramis in beschwörendem Ton. »Das, was vor mir liegt, ist vielleicht gefährlicher als sämtliche …«
»Es geht um Ari!«, fiel sie ihm schroff ins Wort. »Um unseren Sohn, Taramis. Du weißt, wie ich in Peor um ihn gekämpft habe. Auf deiner Reise brauchst du sowieso einen größeren Schwaller, damit du unterwegs wieder zu Kräften kommen kannst. Ich werde Ischáh bitten, dass sie mit Narimoth …«
»Und was ist mit Aïschah?«, unterbrach er sie sanft. »Sie braucht ihre Mutter.«
»Und ebenso ihren Vater. Und Bruder. Wir kehren gemeinsam zurück.« Shúrias Entscheidung war unumstößlich, das spürte Taramis und seufzte.
»Ich glaube, du ahnst überhaupt nicht, was uns da bevorsteht.«
Marnas hatte die Nacht in Adriëls Haus verbracht. Timur war seit seiner Rückkehr aus der Schlacht nicht von seiner Seite gewichen. Er hatte auf dem Fußboden geschlafen und war immer wieder aufgestanden, um nach dem verletzten Kameraden zu sehen. Der Junge kümmerte sich um den verstümmelten alten Recken wie ein liebender Sohn um seinen kranken Vater. Marnas ließ ihn gewähren. Einerseits war er noch viel zu schwach, sich gegen die fürsorgliche Zuwendung des Drachenmannes zu wehren, und auf der anderen Seite fand er durchaus Gefallen daran.
Der bekümmerte Ausdruck auf dem tätowierten, von Erschöpfung gezeichneten Gesicht machte ihm allerdings das Herz schwer. Gerade war Yula mit frischem Tee gekommen, um einen Vorwand zu haben, ihren Bruder zu sehen. Dem klugen Mädchen war nicht entgangen, wie sehr er innerlich litt.
»Ist es deines Vaters wegen?«, fragte Marnas. Er wechselte einen Blick mit der Kleinen. Sie hatte ihren Schleier abgelegt.
Timur seufzte. »Ich habe die ganze Nacht davon geträumt. Immer wieder trieb ich ihm den Speer ins Herz, und er wollte nicht aufhören, mich aus seinen schwarzen Augen vorwurfsvoll anzusehen.«
»Es gibt Bindungen, die sind stärker als das Blut, mein Junge.«
»Ich weiß«, nickte Timur. »Deshalb habe ich für Taramis und die Kinder des Lichts gekämpft.«
»Manchmal sind Drachen leichter zu bezwingen als Gefühle.«
Der Kesalonier starrte mit glasigem Blick vor sich hin. Yula ging zu ihm und nahm seine Hand.
»Du hast mich gerettet, Timur«, sagte Marnas sanft. »Das Leben deines Vaters für meins – so hast du dich entschieden. Ich wünschte, ich hätte das Gleiche für Gabbar tun können.«
»Er war ein großer Krieger.«
»Das kannst du laut sagen.«
Timur blickte verunsichert auf. Er hatte die Doppeldeutigkeit seiner Äußerung gar nicht bemerkt. Die schlaue Yula kicherte.
Marnas räusperte sich. »Ich habe mich in den letzten Jahren so daran gewöhnt, jemanden an meiner Seite zu haben, dass mir angst und bange wird vor dem, was jetzt aus mir werden soll. Mit nur einem Arm ist man als alter Mann ziemlich hilflos. Wir wär’s? Hättest du Lust, mit deiner Schwester eine Weile bei mir zu wohnen? Ich bin kein Samoi – ihr könntet also gehen, wann immer ihr wollt. Adriël will mir hier auf Jâr’en ein Haus zur Verfügung stellen, gleich drüben hinter dem Tempel. Da wäre genug Platz für drei.«
»Du fragst mich …?« Timurs Kinnlade fiel herab.
»Ist es dir nicht recht? Ich hatte nur gedacht, dass so ein morscher Knochen wie ich, der keine eigenen Kinder hat, das ein oder andere weitergeben könnte, ehe er endgültig Abschied nimmt. Ich vermag dir nicht den Vater zu ersetzen, doch ich kann dein Freund sein.« Marnas brachte auf seinem schmerzenden Gesicht ein Lächeln zustande. »Deiner natürlich ebenfalls, Yula.«
Timurs Augen fingen an zu glänzen. Er blinzelte und sah schnell nach unten. »Ich würde dir gerne dienen, Marnas.«
»Und ich auch«, platzte Yula heraus. »Aber nur, bis ich Ari heirate.«
Marnas’ Mundwinkel zuckten. »Ist er nicht zu jung für dich?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die zwei, drei Jahre spielen keine Rolle, wenn
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