Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
wir zusammen alt werden. Er versteht meine Gefühle. Allein darauf kommt es einer Frau an.«
»Wer ist hier der große Frauenversteher?«, erklang eine wohlklingende Stimme aus dem Hintergrund.
Marnas fühlte, wie sein Herz in der Brust vor Freude hüpfte. »Wir sprechen über deinen Sohn, Jeschurun! Du hast also endlich ausgeschlafen. Komm näher, damit ich dich sehen kann.«
Taramis trat an das Bett, streichelte Yulas Wange und legte Timur die Hand auf die Schulter. »Warum nennst du mich so, Vater? Hat mich etwa die Schlacht um Jâr’en zu einem ›Redlichen‹ gemacht? Ich habe eine Insel der Gebeine zurückgelassen, doch Gaal läuft immer noch frei herum.«
»Lasst uns bitte kurz allein«, sagte Marnas zu den Geschwistern.
Timur nickte und verließ mit Yula den Raum.
»Entschuldige«, brummte Taramis sichtlich verlegen. »Ich wollte nicht undankbar klingen.«
»Das weiß ich, mein Sohn. Du hast Übermenschliches geleistet. Und die Sorge um Ari zehrt an deinen Nerven. Ich kann dich nur allzu gut verstehen.«
»Wie geht es dir?« Taramis setzte sich auf die Bettkante und legte seine Hand auf den gesunden Arm seines Freundes.
»Dank dir wieder besser. Dass ein Teil von mir auf dem Schlachtfeld geblieben ist, muss ich allerdings noch verkraften.«
»Bei jeder Schlacht gibt ein Krieger etwas von seiner Seele her.«
Marnas brachte ein Lächeln zustande. »Das könnte von mir stammen.«
»Es sind deine Worte, Vater. Du hast uns jungen Heißspornen damals beizubringen versucht, dass jeder Krieg für beide Seiten eine Niederlage ist, und zwar von Anfang an. Er bedeute den freiwilligen Verzicht auf Menschlichkeit, sagtest du. Erst heute verstehe ich richtig, was du damit gemeint hast.«
»Manchmal machen uns die Umstände zu Tieren, sosehr wir auch Mensch sein wollen. Frag Lauris, der kann ein Lied davon singen. Ist das hier nur ein Krankenbesuch, Taramis, oder hast du etwas Bestimmtes auf dem Herzen?«
»Ich wollte deinen Segen erbitten.«
»Wofür?«
»Noch vor Mittag reise ich ab. Ischáh stellt sich, ihre Mannschaft und ihren Donnerkeil zur Verfügung. Siath, Shúria und Jagur, dieser Dickkopf, kommen ebenfalls mit. Ich habe dem sturen Zwerg gesagt, diese Mission sei nur etwas für Kiemenatmer, aber wie glaubhaft ist das bei all den Frauen, die mich begleiten?«
»Ich nehme an, sie haben dich erpresst.«
Taramis schnaubte. »So ungefähr. Ich bin auf Narimoth angewiesen. Allein mit Keter wollte Ischáh mich nicht ziehen lassen.«
»Verstehe. Schlechte Verhandlungsposition. Und wie genau stellst du dir meinen Segen vor?«
»Sage mir, dass ich das Richtige tue, dass ich mir aus Sorge um Ari nicht bloß alles einbilde. Du bist einer der wenigen, die mit eigenen Augen die Inschrift unter der Säule des Bundes gesehen haben: Dagonis gibt dir Gleichgewicht. Schon lange plagt mich die Ahnung, dass sich Beriths Schicksal auf der Schlafenden Insel entscheiden wird.«
»Mit anderen Worten: Du willst ins finstere Herz unserer Welt vorstoßen.«
»Ja.«
»Dein Einwand mit der Kiemenatmung ist berechtigt, Taramis. Abgesehen von dir und Shúria sind deine Gefährten nicht gegen die dunkle Wolke geschützt.«
»In der Kiemenkapsel von Narimoth haben sie nichts zu befürchten. Für den Fall, dass jemand aussteigen muss, hat uns Kaya Tücher aus den Fäden des Kesalonischen Seidenspinners gegeben. Sie sagt, die Pollen könnten das feine Gewebe nicht durchdringen.«
»Wo hat sie die her?«
»Wir fanden sie zu Tausenden bei den gefallenen Drachenmännern. Möglicherweise wollte Gaal seinen Überfall auf Jâr’en mit der Saat der Finsternis vorbereiten. Glücklicherweise sind wir ihnen zuvorgekommen.«
Marnas seufzte. Er liebte Taramis und fürchtete, ihn vielleicht niemals wiederzusehen, wenn er ihn jetzt in dieses gefährliche Abenteuer ziehen ließ. »Und du bist sicher, dass kein Weg an Dagonis vorbeiführt?«
»Dort ist mein Sohn.«
»Siehst du den Sternensplitter, den Shúria ihm gegeben hat?«
»Schwach. Der Himmelstein hat es mir nie leicht gemacht, ihn zu finden. Ich nehme an, die dunkle Wolke oder irgendetwas anderes hält sein Licht von mir fern. Meine Hoffnung ist, dass ich ihn deutlicher wahrnehme, je näher ich ihm komme.«
»Das ist sogar wahrscheinlich. Veridas hat mir einmal etwas Ähnliches erzählt.« Marnas zögerte. Er wog alles Wissen, das er so viele Jahre lang als Nebelwächter in seinem Innern bewahrt hatte, gegen die Worte seines begabtesten Schülers ab. Schließlich nickte er.
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