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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bedeutet ›Palast der tausend Augen‹ – eigentlich sind damit Fenster gemeint –, und ich kann Euch versichern, dass die Zahl der Zimmer in meiner Residenz um ein Vielfaches größer ist. Wir haben genügend Platz für Jagurs Bälger.«
    Lehi räusperte sich. Ihre grimmige Miene sah noch zerfurchter aus als sonst.
    »Ich wollte sagen, Kinder«, verbesserte sich Jarmuth eilig. »Sie sind nirgends so gut aufgehoben wie in meinem Haus. Und weil wir gerade von Sicherheit sprechen, Herrin Shúria. So wie Ihr andeutet, geht es bei Eurer Mission auch um das Wohl und Wehe von ganz Berith. Es wäre mir eine Herzensangelegenheit, Euch meinen besten Krieger zum Schutz mitzugeben.« Er deutete auf Simli, der zwei Schritte seitlich hinter ihm stand.
    Sie verbeugte sich, um ihr Missbehagen zu verbergen. Jarmuths Angebot war wohl nicht so uneigennützig, wie es sich anhörte. Wenn er ihr einen Beschützer mitgab, konnte das Volk vom Berge im Falle einer erfolgreichen Rettungsmission den Ruhm für sich einheimsen. Was also sollte sie dem König antworten? Er durfte ihretwegen keinesfalls sein Gesicht verlieren. Für den Kommandanten der Leibwache sprach, dass Ischáh ihn als vertrauenswürdig beschrieben hatte. Vielleicht würden sie irgendwann sogar dankbar sein, bei ihrer Mission einen erfahrenen Kämpfer wie Simli dabeizuhaben. Entschlossen richtete sich Shúria wieder auf. »Es ist mir eine Ehre, Majestät, Euren Beschützer an meiner Seite zu wissen.«
    Jarmuth strahlte. »So soll es sein. Wann wolltet Ihr noch gleich aufbrechen, Herrin?«
    »Das habe ich Euch bereits erklärt, Königliche Hoheit.«
    »Können wir nicht wenigstens ein klitzekleines Willkommensfest für Euch …?«
    »Nein!«
    Jarmuth seufzte. »Na schön. Ihr seid ein härterer Brocken als Euer Mann. Dann geht also mit unserem Segen. Und bringt mir meinen Simli möglichst in einem Stück wieder.«
    Erleichtert bedankte sich Shúria bei dem Piratenanführer.
    Der Abschied von Aïschah fiel ihr ungleich schwerer. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie küsste die Kleine, drückte sie an sich und flüsterte ihr ein Versprechen ins Ohr. »Mama lässt dich nicht im Stich. Ich komme zurück und bringe vielleicht sogar deinen Papa mit. Wie gefällt dir das?«
    Aïschah gähnte.
    Shúria hatte das Gefühl, sich das Herz aus der Brust zu reißen, als sie ihre Tochter in Lehis Arme legte. Mit tränenverschleiertem Blick wandte sie sich ab und lief, ohne sich noch einmal umzusehen, dem Ausgang entgegen.

12. Die Verwandlung
    B lutrot erhob sich der Feuerball über dem Horizont. Seit dem Rückzug der dunklen Wolke hatte Fidenia viele solcher Sonnenaufgänge erlebt. Eigentlich sollte sie nicht übellaunig sein, sondern fröhlich. Es war ein wunderbarer Frühlingsmorgen, so strahlend, wie es auf Ramoth, tief in der Zentralregion, überhaupt möglich war. Wenn man wie Fidenia bereits auf den Lebensherbst zusteuert, beginnt man derlei Tage mehr zu schätzen als in der Blütezeit der Jugend mit ihrem unverschämten Überfluss an Ausdauer, Kraft, Begeisterungsfähigkeit und Liebe. Trotzdem oder gerade deshalb wollte sich bei ihr keine heitere Stimmung einstellen.
    Ihr Mann, der geachtete Ratsherr Kolb, hatte in der letzten Nacht wieder einmal zu oft das Fassungsvermögen seines Weinhumpen ausgemessen. Da war er zu wenigem zu gebrauchen, schon gar nicht für die Liebe. Damit hatte er selbst im nüchternen Zustand seine Mühe. Er war ein schwerer alter Sack geworden, der das Füllhorn der Jünglinge zwar verzweifelt schüttelte, aber bestenfalls ein paar Tropfen herausbekam. Und wenn er betrunken war, schnarchte er wie eine Sägemühle.
    Deshalb hatte Fidenia ihren übergewichtigen Göttergatten ins Gästezimmer verbannt, wo er seinen Rausch ausschlafen sollte. Dorthin war sie jetzt unterwegs, um ihn an seine Pflichten zu erinnern, sowohl die ehelichen als auch die übrigen. Bei allen Nachlässigkeiten, die Kolb sich in letzter Zeit herausnahm, liebte sie den alten Knochen noch immer.
    Mit stampfenden Schritten, ein Tablett mit Brot, Käse und starkem Tee in den Händen, durchquerte sie den Flügel, den sie mit ihrem Mann im Haus der Räte bewohnte. Das Gebäude war beinahe schon ein Palast zu nennen, sämtliche zwölf Ratsherren von Ramoth residierten hier mit ihren Familien.
    Und nun auch Adriël, der neue Hohepriester, der vor wenigen Tagen zu Besuch gekommen war.
    Sie klopfte mit dem Holzschuh gegen die Tür des Gästezimmers. »Wach auf, du Schlafmütze.«
    Von

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