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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Links an der Wand kauerte eine Frau von vielleicht fünfzig Jahren. Sie zitterte am ganzen Leib.
    Er hockte sich neben sie und berührte ihre Schulter. »Fidenia?«
    Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen, sah ihn kurz an und begann haltlos zu schluchzen.
    Pyron legte sein Schwert auf den Dielenboden, nahm sie in die Arme und tätschelte ihren Rücken. »Habt keine Angst, Fidenia. Ihr seid jetzt in Sicherheit.«
    »Niemand ist vor der dunklen Wolke sicher!«, stieß sie hervor.
    Er schob sie ein Stück weit von sich und versuchte ihr in die tränenverhangenen Augen zu sehen. »Was ist passiert, Fidenia?«
    »Dieses Ding kommt aus Kolb«, schluchzte sie.
    »Ich … verstehe nicht.«
    Sie zeigte auf die leere Hülle unter dem Fenster. »Es ist aus meinem Mann geschlüpft.«
    Pyron löste sich sacht aus der Umarmung der völlig verängstigten Frau. Nun erst sah er die Überreste des Ratsherrn. Sein Nachthemd hing nur noch in Fetzen von ihm herab, so als habe er es sich vor Schmerzen vom Leib zu reißen versucht, bevor … Pyron schauderte. Unwillkürlich musste er an die Königslibellen seiner Heimatinsel Verdenia denken. Wenn sich deren Larven häuteten, ließen sie auch solche durchscheinenden, leeren Hüllen zurück.
    »Mein Kolb hat sich in ein Ungeheuer verwandelt«, klagte Fidenia.
    »Nein, Schwester. Es hat deinen Mann getötet «, antwortete überraschend der Hohepriester. Pyron blickte erschrocken auf, weil er ihn überhaupt nicht hatte hereinkommen hören. Der Chohén besaß die Gabe, sich völlig lautlos zu bewegen – im Gegensatz zu seinen Tempelgardisten, die nun in der Tür erschienen. Adriël wog gerade das Schwert seines Leibwächters in der Hand, seine Augen betrachteten versonnen den blanken Stahl.
    Pyron sog scharf die Luft ein. Er glaubte die Absicht seines Herrn zu erkennen. Als ihre Blicke sich über dem Flügelwesen hinweg trafen, schüttelte er unmerklich den Kopf.
    Wie zum Trotz stach Adriël dennoch zu, rasch und heftig. Er trieb die Klinge bis zum Heft ins Herz des jungen Antischs.
    Fidenia stieß einen Schrei aus und presste sich die Fäuste vor den Mund.
    Sogar Pyron rang um seine Fassung. Als Tempelwächter hatte er schon manchen Gegner getötet, aber ein Kind?
    Der Chohén blickte von der Leiche auf. »Du hältst mich für hartherzig, nicht wahr?«
    »Es steht mir nicht zu, dem obersten Priester Gaos Vorhaltungen zu machen«, antwortete Pyron ausweichend.
    »Es gibt Plagen, die muss man mit Feuer bekämpfen, ehe sie übermächtig werden.«
    Er wechselte rasch das Thema, weil es ihm unangenehm war, dass der Hohepriester sich vor ihm rechtfertigte. »Die Rückkehr der dunklen Wolke war kein Zufall. Dieser Angriff galt Euch. Wir sollten sofort nach Jâr’en zurückkehren.«
    »Kolb!«, schluchzte Fidenia herzzerreißend und wandte sich dem Chohén zu. »Warum habt Ihr meinen Liebsten getötet, Herr Adriël?«
    Er begegnete ihrem Blick voll Mitleid. »Dein Mann ist schon heute Nacht ins Haus der Toten eingegangen, Schwester. Weil sein Körper diesen Bastard nicht länger ernähren konnte.« Er deutete auf die kleine Leiche im Bett.
    Pyron schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber die Ratsherren sagen, seit Jahren seien keine Antische mehr auf Ramoth gewesen. Wie ist die … Larve dann in Kolb hineingekommen?«
    Adriëls Miene war wie versteinert. Er antwortete mit einer Gewissheit, die keinerlei Zweifel erkennen ließ. »Mit der dunklen Wolke, die vor einigen Wochen über die Insel hergefallen ist. Durch die Saat der Finsternis.«

13. Wettlauf mit der Dunkelheit
    S tolz reckte sich das geflügelte Wesen der müden Wintersonne entgegen. Auf eine beklemmende Weise bewunderte Taramis das hochgewachsene, gertenschlanke Geschöpf sogar. Obwohl es völlig unbekleidet war, ließ sich nicht feststellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Es wirkte ungemein zerbrechlich. Die blasse, bläulich schimmernde Haut war so dünn, dass man das Netz aus schneeweißen Adern darunter bis in kleinste Verästelungen erkennen konnte. Sein feingliedriger Körper sah leicht aus wie eine Feder, so als könne es mit einem einzigen Flügelschlag die ganze Welt durchqueren.
    Taramis erschauderte, als der Zioraner ihn aus roten Augen unvermittelt ansah und auf ihn deutete. Der lange, knochige Zeigefinger des Weißblüters endete in einer gebogenen Kralle. Du! , schien er zu ihm sagen zu wollen. Taramis reckte dem Fledermenschen seine Hand entgegen, um dessen ausgestreckten Finger zu

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