Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
angenehme Erinnerungen mit diesem Ort verbinde. Gibt es einen Grund für Eure Eile?«
»O ja! Der König höchstselbst möchte Euch begrüßen und Euch in den Palast begleiten.« Simli senkte den Blick. »Er bittet Euch, eine kurze Rast einzulegen, damit Ihr nicht vor ihm den Stadtrand erreicht.«
Taramis hatte Shúria von der Begeisterung der Kirries für Triumphzüge erzählt. Sie lächelte nachsichtig. »Eine kleine Ruhepause kann nicht schaden. Aïschah braucht ohnehin die Brust.«
Der Kommandant räusperte sich verlegen. »Dann … äh … gehe ich schon mal ein Stück voran und gebe Euch ein Zeichen mit den Lichtsteinen, sobald Ihr weitergehen könnt.«
»Tut das.« Seine Betretenheit amüsierte sie. Unter Zeridianern waren stillende Mütter ein alltäglicher Anblick.
Simli befahl den Soldaten, um die Frauen herum einen Halbkreis zu bilden, die Gesichter nach außen gewandt, damit sich die Herrin nicht gestört fühle. Dann machte er sich aus dem Staub.
Lehi und Ischáh breiteten rasch eine Decke aus, auf der sich Shúria niederlassen konnte.
Aïschah hatte gerade mit halb geschlossenen Augen zu saugen begonnen, als ihre Mutter plötzlich erschrocken aufblickte. Jemand hatte ihren Namen gerufen.
Shúria!
Verstört sah sie sich um.
Shúria! Bitte antworte wenigstens du mir! , vernahm sie erneut die Stimme.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ischáh.
»Hast du das gehört?«
»Was?«
»Jemand hat nach mir …«
Shúria! Bitte! , drängte sich der Rufer abermals in ihren Geist.
»Da!«, stieß sie hervor. »Schon wieder. Er ist verzweifelt. Er klingt wie …« Sie riss die Augen auf. »Lauris!«
»Dein Bruder?«
Shúria nickte.
»Ist er ein Geistbote?«
»Ja. Aber er hat seit einer Ewigkeit nicht mehr zu mir gesprochen. Lauris ist … tot. «
Die Ganesin streichelte lächelnd Shúrias Wange. »Auch wenn manche das Gegenteil behaupten: Im Haus der Toten sind alle Fenster geschlossen. Sprich zu ihm, ehe ihn der Mut verlässt.«
Shúria blickte benommen ihr Kind an. Ihm waren die Augen zugefallen, ab und zu nuckelte es im Schlaf. Sie senkte schnell selbst die Lider, um sich ganz auf die Stimme des Geistes zu konzentrieren.
Lauris?
Shúria! , kam sofort die Antwort, so rasch, als stehe ihr Bruder direkt neben ihr.
Du lebst! Ich dachte, ein Antisch hätte dich getötet.
Du meinst Gulloth? In gewisser Weise hat er das tatsächlich getan. Der Fischkopf hatte meinen Geist in den eines Tieres verwandelt. Deshalb habt ihr nichts mehr von mir gehört. Erst heute bin ich wieder erwacht. Wie lange war ich vermisst?
Ungefähr dreizehn Jahre. Shúria bewegte unwillkürlich die Lippen, während sie mit ihrem Bruder sprach.
Ich habe zuerst versucht, unseren Vater zu erreichen. Dann Xydia. Beides ist mir nicht gelungen.
Sie sind tot, ermordet von Dagonisiern. Mich hätten sie auch fast umgebracht. Shúria lauschte. Die innere Stimme war verstummt. Lauris?
Ich … bin noch da, antwortete er stockend. Sie spürte, wie sehr er unter der Nachricht litt.
Wo bist du, Lauris?
Irgendwo im Zeridia-Archipel. Die Scholle ist unbewohnt, und ich sitze hier fest. Der einzige Schwaller, der mich hätte wegbringen können, war eine biestige Ätherschlange. Sie ist mit ihrem Reiter auf und davon, nachdem sie mir fast den Kopf abgebissen hat.
Ein Drachenwurm? , dachte Shúria entsetzt. Heißt das … die Dagonisier treiben wieder ihr Unwesen im Atoll?
Sieht ganz danach aus. Lauris berichtete seiner Schwester, was er von den beiden Kundschaftern erfahren hatte, und sagte dann: Ich vermag mit niemand anderem Verbindung aufzunehmen als mit dir. Kannst du mir Hilfe schicken?
Sie kniff die Augen zusammen, um ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Dieser Kesalonier Sagur und der Antisch Zukk hatten Taramis als Wurm an einer Angel bezeichnet, der nicht ahne, wie es um ihn stehe. Wohin soll ich sie denn senden, Lauris, wenn nicht einmal du genau weißt, wo du bist?
Das ist allerdings ein Problem, antwortete es aus den Tiefen ihres Bewusstseins. Es würde Jahre dauern, sämtliche unbewohnten Schollen des Atolls nach mir abzusuchen.
Du könntest ein großes Feuer machen.
Daran habe ich auch schon gedacht. Wenn ich mir jedoch den Himmel so ansehe, wird mir buchstäblich schwarz vor Augen. Bald wird die dunkle Wolke den ganzen Archipel verschlucken. Da nützt das hellste Feuer nichts.
So schlimm …? Shúrias Gedankenfaden riss plötzlich ab, weil sie ein Zupfen am Ärmel spürte. Als sie den Blick hob, kniete Ari
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